Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
unser Mahl mit süßem Pfefferminztee, so wie es überall in Marokko Brauch war. Unvermittelt versank die Sonne hinter den Bergen, und je dunkler sich der Himmel verfärbte und je mehr sich die Luft abkühlte, umso höher und heller wurde das Feuer.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich Aszulay hinzugesellt hatte, doch als die Frauen die leeren Teller einsammelten, erblickte ich ihn in den Reihen der Männer. Wie einige andere hielt auch er ein Instrument in der Hand, das aussah wie eine Flöte oder Querpfeife.
Irgendwie war ich froh, ihn zu sehen.
Ich betrachtete die Frauen um mich herum und dachte über ihre Lebensweise nach. Ihr Hauptaugenmerk galt den Jahreszeiten und wie sie ihr Leben beeinflussten – ob es eine Dürre geben würde oder aber zu viel Regen, ob ihre Tiere gesund bleiben würden. Ständig begleitete sie die Sorge, ob sie in der Lage wären, ihre Kinder satt zu bekommen, oder aber zusehen müssten, wie sie hungerten oder von einer scheinbar harmlosen Krankheit dahingerafft wurden.
Ich wünschte, ich wäre wie sie: stark und lebenstüchtig.
Dann dachte ich, wie weit ich gereist war und welche Entscheidungen ich getroffen hatte.
Badou stand auf und rannte zu Aszulay hinüber, um sich an seine Seite zu kuscheln. Ein Mann begann einen langsamen Takt auf einer wie ein Stundenglas geformten Tontrommel zu schlagen, die er zwischen die Knie geklemmt hatte und deren Bespannung offensichtlich aus geölter Ziegenhaut bestand. Die Zuhörer klatschten verschiedene Synkopen dazu. Dann führten Aszulay und die anderen Männer ihre Flöten an die Lippen und spielten eine melancholische Melodie, die wie ein Klagelied anmutete.
Ich fiel in das Klatschen ein und betrachtete dabei meine Hände. Sie sahen wunderschön aus, als trüge ich rosa Spitzenhandschuhe. Ich klatschte und wünschte, den Text zu kennen, um mit dem um das Feuer versammelten Dorf mitsingen zu können. Ihr Gesang, manche Stimmen darunter harmonisch und sicher, andere ein wenig wacklig und schief, erhob sich in den Nachthimmel, an dem immer mehr Sterne zu sehen waren. Das Feuer sprühte Funken in die Dunkelheit.
Ich sah, wie Aszulay das Mundstück seiner Flöte Badou an die Lippen hielt und ihn ermunterte hineinzublasen. Der Junge blähte die Wangen auf, während Aszulay zwei seiner Finger nahm und je ein Flötenloch damit verschloss.
Die Musik erstarb, und die Frauen servierten weiteren Tee. Rings um mich herum wurde lebhaft geplaudert. Badou stand auf und kam wieder zu mir. Er setzte sich neben mich und schmiegte den Kopf an meinen Arm. Langsam erhob sich ein Trommelschlag, ein zweiter gesellte sich hinzu. Ein Mann wärmte seine Trommel über dem Feuer und probierte sie aus; da wurde mir klar, dass sich durch die Hitze die Spannung der Ziegenhaut veränderte und damit der Ton. Einige der Männer setzten abermals ihre Flöten an die Lippen, doch diesmal spielten sie keine leise, langsame Melodie, sondern eine lebhaftere und rhythmischere. Einige Männer erhoben sich, darunter auch Aszulay, dessen Stirn und untere Gesichtshälfte von dem Ende seines blauen Turbans bedeckt waren.
Sie tanzten zur Musik, indem sie mit fliegenden Gewändern umeinander herumwirbelten wie Derwische. Die Frauen und Kinder sahen zu und begleiteten ihren Tanz mit Klatschen und indem sie verschiedene merkwürdige Laute ausstießen: Schnalzlaute mit der Zunge, Trillern und ein kehliges Brummen. Die Männer tanzten und wirbelten herum, das Feuer wurde immer höher, und die Sterne blinkten dazu.
Ich schloss die Augen und ließ die Laute durch mich hindurchströmen. Das gleiche Gefühl wie bei meinem Hamam-Besuch bemächtigte sich meiner: als wäre mein Körper nicht meiner, so leicht und behände fühlte er sich plötzlich an. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte mitgetanzt; Takt und Rhythmus durchdrangen mich, und ich bewegte den Oberkörper vor und zurück, während ich ebenfalls Laute ausstieß und dazu klatschte.
Ich öffnete die Augen. Alle wurden von der allgemeinen Ausgelassenheit, der Musik und dem Tanz mitgerissen. So wie ich.
Und mit einem Mal sah ich mich wie aus der Ferne: eine Frau in marokkanischem Gewand, die das traditionelle Essen der Dorfbewohner teilte, mitten unter ihnen um das Feuer herum unter dem nordafrikanischen Himmel saß und in die hennabemalten Hände klatschte. Ich verstand, was es hieß, zu lieben und zu trauern um jene, die man am meisten geliebt hat. Freude und Schmerz zu empfinden.
Ich verstand das Leben, ob es sich nun in
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