Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
so schnell begriff, und das erfüllte mich wiederum mit Stolz. Zwar stimmte, was er über meine Behinderung gesagt hatte: Ich hatte wenig Kraft in meinem rechten Bein und konnte das Knie nicht ganz durchstrecken. Und obwohl er sah, wie gut ich zurechtkam, machte er sich noch immer Sorgen um meinen rechten Fuß, der sich nicht so gut beugen ließ.
Von Anfang an wusste ich, wie sehr mir das Fahren mit dem Silver Ghost Spaß bereiten würde. Vom ersten Mal an, da ich den Wagen selbstständig aus dem Hof fuhr, spürte ich ein ungekanntes Gefühl der Macht. Hinter dem Lenkrad vergaß ich mein Hinken. Wenn mir bei zurückgeschlagenem Dach der Wind das Haar zerzauste, fand ich das beinahe vergessene Vergnügen an der schnellen Vorwärtsbewegung wieder. Vielleicht erinnerte es mich ein wenig daran, wie ich als Kind herumgerannt war.
Im ersten Sommer, in dem ich in Besitz des Wagens war, fuhr ich oft damit, nicht nur übers Land, sondern auch in die Innenstadt, wo mich niemand kannte. Das Automobil zog Aufmerksamkeit auf sich, und mit einem Mal schlich sich ein neues, ziemlich stolzes Lächeln auf meine Lippen. Wenn jemandes Augen auf den schlanken Formen des Wagens verweilten und sich dann mir zuwandten, nickte ich ihm zu. Ich war nicht nur stolz darauf, ihn zu besitzen, sondern auch auf meine Fahrkünste. Plötzlich war ich nicht mehr nur Sidonie O’Shea, die Frau mit der Gehbehinderung, die mit ihrem Vater am Stadtrand wohnte.
In jenem feuchtheißen Hochsommer fuhr ich weit aufs Land hinaus. Ich winkte den Kindern zu, die auf den Staubstraßen des Hinterlands von Albany County den Räderspuren folgten. Irgendwo ließ ich dann den Wagen am Straßenrand stehen und stapfte durch das dichte Gestrüpp und die Moore. Hin und wieder gelangte ich an einen der Teiche, die die Landschaft durchzogen. Dann setzte ich mich ans Ufer und zeichnete Rohrkolben und Wildblumen. Ich beobachtete die Biber und ihr emsiges Treiben, die Eichhörnchen und Hasen im Unterholz und die Vögel beim Nisten und jähen Herabstoßen nach Beute. Ich sah den Fröschen zu, die ihre Beute so schwer herunterzuschlucken schienen, und den Insekten, die mir um den Kopf herumschwirrten. Ich entdeckte eine neue Flora, Wildpflanzen, deren Namen ich nicht kannte.
In raschen, groben Zügen skizzierte ich sie, um sie zu Hause anhand eines der Botanikbücher, deren Stapel stetig wuchs, zu identifizieren. Wenn ich wieder zum Wagen zurückkehrte, hatte ich Schweißflecken unter den Achseln, Kletten hatten sich an meinen Rocksaum geheftet, und mein Haar war klamm und zerzaust von der feuchten Luft.
Ich konnte es nicht erwarten, nach Hause zu kommen, um zu malen, was ich skizziert hatte. In jenem Sommer veränderten sich meine Bilder irgendwie. Das Fahren hatte offensichtlich meine Handgelenke, Finger und auch Schultern gelockert, sodass meine Pinselstriche freier wurden. Die Farben, die ich wählte, waren üppiger, hatten mehr Tiefe.
Einmal, als ich wieder ein Bild fertig gemalt hatte, einen Weißbauch-Phoebetyrannen auf seinem Nest aus Schlamm und Moos, trat ich zurück, um es in Augenschein zu nehmen. Was ich sah, gefiel mir so gut, dass ich Zinnober auf die Arme hob und mit ihr einen Shuffle durchs Zimmer vollführte. Ich tanzte!
Ich weiß noch, wie glücklich ich damals war.
Als der erste schwere Schnee fiel, konnte ich den Wagen nicht mehr aus dem Hinterhof herausfahren, sodass ich während der langen, trostlosen Monate aufs Fahren verzichten musste. Den ganzen Winter über sehnte ich mich nach dem kehligen Rattern des Motors, dem leichten Vibrieren des Lenkrads unter meinen Händen und der neu gefundenen Freiheit, die mir der Silver Ghost geschenkt hatte. Ich träumte davon, wieder mit ihm durch die Gegend zu streifen.
Gegen Ende des Winters sagte mir Vater, er wolle eine Automobilauktion im benachbarten County besuchen, Mr Barlow würde ihn hinbringen.
» Nein, ich fahre dich«, sagte ich und stand schnell auf, während die Erregung, ein altbekanntes Gefühl, wieder Besitz von mir ergriff. » Der Schnee ist beinahe weggeschmolzen. Ich habe heute Morgen einen Blick in den Hinterhof geworfen, und ich bin sicher, dass ich den Ghost aus der Garage bekomme. Letzte Woche habe ich das Segeltuch vom Wagen genommen, den Motor gestartet und ihn eine Weile laufen lassen. Er ist fahrbereit, Vater.«
» Aber das ist nicht nötig, Sidonie. Mike hat gesagt, er fährt mich mit seinem Laster. Die Straßen sind eisig, weil es gestern geregnet und anschließend wieder
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