Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Mademoiselle, wie ich bereits sagte, müssen Sie sich ausruhen und sich die Zeit nehmen, die Ihr Körper benötigt, um neue Kraft zu gewinnen. Im wievielten Monat waren Sie?«
» Im dritten.«
Er strich mit Zeigefinger und Daumen den Schnurrbart glatt, dann nahm er seine Tasche und öffnete sie. Er brachte eine grüne Flasche zum Vorschein und stellte sie auf den Stuhl neben dem Bett. » Hat die Blutung aufgehört?«
» So gut wie.«
» Und war es eine vollständige Fehlgeburt?«
» Ich … ich weiß nicht.«
» Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Körper alles ausgeschieden hat?«
Ich schluckte. » Ich glaube schon.«
» Wollen Sie ins Krankenhaus gebracht werden? Es gibt eine kleine Klinik in der Nähe, die sich auf Ausländer spezialisiert hat. Ich könnte einen Wagen kommen lassen …«
» Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.«
» Gut. Aber wenn es Komplikationen gibt, müssen Sie unbedingt ins Krankenhaus. Ansonsten bleiben Sie die nächsten Tage über im Bett und strengen sich in keiner Weise an. Ich lasse Ihnen etwas da« – er wies auf die grüne Flasche –, » ein Mittel, das in einer solchen Situation angebracht ist. Es wird ein wenig Krämpfe verursachen. Doch für den Fall, dass die Fehlgeburt noch nicht vollständig war, sorgt das Mittel dafür, dass Ihre Gebärmutter alles abstößt.«
Bei seinen letzten Worten erfasste ich erst das ganze Ausmaß dessen, was mir zugestoßen war. Ein tiefer Schmerz überwältigte mich, und ich musste die Augen mit der Hand bedecken. Ich zitterte und klapperte leise mit den Zähnen. Ich wusste, da war noch eine Frage, die ich stellen musste, die meine Gedanken beherrschte. Ich nahm die Hand von den Augen und sah den Arzt an.
» Könnte es möglicherweise meine Schuld sein?«, fragte ich. » Wegen der einwöchigen Reise mit dem Schiff von Amerika hierher? Oder … weil ich in letzter Zeit so viele Sorgen hatte.« Ich atmete langsam und zittrig aus. » Vielleicht habe ich mich nicht richtig ernährt. Ich hatte auch Schlafprobleme. Habe ich es verursacht? Muss ich es mir selbst zuschreiben, dass ich das Kind verloren habe?«
» Mademoiselle«, sagte der Arzt mit freundlicher Stimme und trat näher ans Bett. » Manchmal will die Natur es einfach so. Man kann es nie wissen.« Er tätschelte meine Hand. » Machen Sie sich keine Vorwürfe. Versuchen Sie, sich auszuruhen. Madame Buisson, bringen Sie ihr bitte eine weitere Decke und eine Suppe. Sie müssen jetzt wieder zu Kräften kommen. Und bitte, wenn Sie Schmerzen haben oder es Komplikationen gibt, suchen Sie ein Krankenhaus auf. Versprechen Sie mir das, Mademoiselle?«
Seine unerwartete Freundlichkeit brachte mich vollends aus der Fassung. Als der Arzt und die Concierge das Zimmer verließen, schlug ich die Hände vors Gesicht und weinte leise.
Während der nächsten Stunden bemühte ich mich vergeblich zu schlafen. Ein korpulentes, rothaariges Mädchen kam ins Zimmer, warf mir einen verstohlenen Blick zu und stellte eine dampfende Suppe auf den Ankleidetisch, doch ich ließ sie kalt werden. Ich zog die beiden Decken über den Körper und starrte nach oben.
Die Hände auf dem Unterleib, wanderte mein Blick zu den schlaffen weißen Vorhängen, die in der nachmittäglichen Brise flatterten.
Ich malte mir aus, wie das Kind ausgesehen hätte, und stellte es mir mit glänzendem dunklem Haar vor, das dick und gerade war wie Etiennes. Es hatte auch Etiennes hohe Stirn und den leicht besorgten Blick. Und die vollen Lippen meiner Mutter. Wenn es ein Mädchen gewesen wäre, hätte ich sie Camille oder Emmanuelle genannt. Einen Jungen Jean-Luc. Ich hätte die winzigen Finger um einen Pinsel herum gelegt und ein Kätzchen angeschafft. Vor dem Schlafengehen hätten wir zusammen auf Französisch ein Nachtgebet gesprochen.
Noch immer von den tanzenden Bewegungen in Bann gezogen, starrte ich zum Vorhang. Vielleicht hatte der Arzt ja recht. Vielleicht sollte ich besser wieder in die Juniper Road zurückkehren, nach Hause, wo ich sicher war. Würde ich dort für immer leben? Im Geiste sah ich mich mit weißem Haar und gebeugt vor der Staffelei stehen. Meine Hand, die den Pinsel umklammerte, war mit Altersflecken übersät, meine Finger gichtgeplagt. Und ich war allein.
Immer wieder kehrte ich zu diesem einen Gedanken zurück: zu der Tatsache, dass mein Kind nicht mehr existierte, und der Trostlosigkeit meines Lebens ohne Etienne.
Ich wischte mir mit dem Nachthemdärmel über das Gesicht und stand auf, um langsam zum
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