Der Duft
den Augen gehabt. In den Tagen, seit Mami nicht mehr da ist.
Das Mädchen legt die Puppe aus der Hand, mit der zu spielen irgendwie nicht mehr so viel Spaß macht wie früher. Sie schluckt.
Sie weiß, dass er die Frage nicht hören mag, aber
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sie muss sie trotzdem stellen. »Papi, wann kommt Mami aus dem Krankenhaus?«
Er dreht den Kopf zu ihr, ganz langsam. Einen Augenblick lang scheint er sie gar nicht zu sehen. Dann wird sein Blick etwas
klarer. »Ich weiß es nicht, mein Schatz.«
»Aber was hat sie denn? Muss der Doktor den Bauch aufschneiden und ein Baby rausholen?« Sabine im Kindergarten hat ihr erzählt,
dass der Doktor das bei ihrer Tante gemacht hat, und dass sie jetzt eine Cousine hat.
Sein Mund verzieht sich kurz zu einem Lächeln, das aber wackelt und dann schnell zerfällt wie ein dünner Turm aus Bauklötzen.
Er schüttelt den Kopf.
»Aber was ist es denn dann? Ist sie krank?«
Der Vater sieht sie an. Das Mädchen kennt diesen Gesichtsausdruck: Das verstehst du noch nicht.
»Komm mal her«, sagt er.
Sie läuft zu ihm, und er nimmt sie aufs Knie. »Weißt du, manche Menschen sehen manchmal Dinge, die … die nur sie sehen können«,
sagt er.
»So was wie Gespenster?«, fragt das Mädchen.
Der Vater nickt. Seine Augen sind wässrig. »Ja, so ähnlich wie Gespenster«, sagt er. »Du weißt ja, dass es keine Gespenster
gibt. Aber manche Menschen sehen sie trotzdem, und dann haben sie Angst vor ihnen und machen Dinge, die falsch sind.«
Das Mädchen kuschelt sich an ihn. Er streicht ihr durchs Haar. Sie beginnt, zu verstehen. »Deshalb hat Mami mich in den Schrank
gesperrt? Weil sie dachte, mich würden sonst Gespenster holen?«
Eine Weile schweigt der Vater. »Ja«, flüstert er schließlich. »Ja, mein kluges, kluges Kind.«
»Und wird Mami bald wieder gesund?«
Ein Zucken geht durch den starken Körper ihres Vaters. Er weint.
|350| »Mrs. Escher?«
»Nein«, sagte Marie laut. »Nein, mir ist nichts aufgefallen.«
Harrisburg sah sie lange an. »Sind Sie sicher?« Seine Stimme verriet, dass er daran zweifelte. Konnte er so tief in ihren
Kopf sehen? Immerhin war er Psychologe. Konnte er erkennen, dass da eine Stimme war, die ihr unaufhörlich zuflüsterte, sie
solle endlich die Augen öffnen und die Wahrheit sehen?
Ihr ganzes Leben war die Stimme da gewesen. Schon als kleines Kind hatte sie sie gehört. Bis zu dem Tag, an dem ihr Vater
sie aufs Knie genommen und ihr die Wahrheit über ihre Mutter gesagt hatte, war sie nie auf die Idee gekommen, die Stimme könnte
etwas Schlechtes sein. Im Gegenteil, sie hatte ihr zugehört wie einer Freundin.
Doch damals war ihr klar geworden, dass die Stimme lügen konnte.
Seitdem hatte sie entsetzliche Angst vor der Stimme. Erst viel später hatte sie verstanden, was wirklich mit ihrer Mutter
geschehen war, warum sie sich später in der Klinik umgebracht hatte, nur sechs Wochen nach der Einlieferung.
Paranoide Schizophrenie. Sie hatte praktisch alle verfügbaren Bücher darüber gelesen. Schizophrene hatten nur selten echte
Halluzinationen. Sie verloren einfach die Fähigkeit, eine klare Grenze zwischen sich selbst und ihrer Umgebung zu ziehen.
Eine schizophrene Person nahm ihre eigenen Gedanken oft als »Stimmen« wahr, so als spreche jemand anderes. Umgekehrt bezog
sie zufällige, belanglose Dinge auf sich selbst, maß ihnen eine Bedeutung bei, die sie nicht hatten. Zwei fremde Frauen, die
in einem Café lachten, lachten heimlich über sie. Selbst der Baum, der sich im Wind wiegte, winkte ihr in Wahrheit zu, um
sie zu verspotten. Die ganze Welt trug eine Maske, hinter der sie |351| geheime, meist böse Dinge plante, Dinge, in deren Mittelpunkt die schizophrene Person stand.
Diese Situation war für die Schizophrenen äußerst verwirrend. Und obwohl sie meist vom Verstand her wussten, dass sie schizophren
waren und dass die Dinge anders waren, als sie sie wahrnahmen, konnten sie sich nicht gegen die Übermacht dieser Sinneseindrücke
wehren. So steigerten sich die schlimmen Fälle mehr und mehr in einen Verfolgungswahn, der in sinnloser Gewalt gegen andere
oder sich selbst enden konnte.
Schizophrenie war viel weiter verbreitet, als die meisten Menschen ahnten. Nach Schätzungen litten bis zu zwei Prozent der
erwachsenen Bevölkerung daran. Das bedeutete, praktisch jeder hatte mindestens ein oder zwei Schizophrene im Bekanntenkreis.
Oft blieb die Krankheit unentdeckt. Schizophrene lernten, sie
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