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Der Duft

Titel: Der Duft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Er war mindestens doppelt so alt wie Karim,
     gehörte damit aber noch lange nicht zu den Betagtesten im Raum. Er blickte regungslos geradeaus, die schweren Augenlider leicht
     abgesenkt, und schien den Worten des Generalsekretärs andächtig zu lauschen. Vielleicht war er auch einfach nur besser darin,
     seine Langeweile zu verbergen, als Karim.
    |357| »… haben wir die historische Chance und auch die Pflicht«, sagte der Generalsekretär gerade, »der Gemeinschaft der Völker,
     deren natürliches Recht es ist, in Frieden und Freiheit zu leben, einen großen Dienst zu erweisen, indem wir …«
    Er stockte, neigte den Kopf ein wenig nach hinten und schien zu schnüffeln. Die übrigen Konferenzteilnehmer sahen ihn verwundert
     an. Dann begannen auch sie zu wittern.
    »Was ist denn?«, fragte Karim, der mit seiner Triefnase nichts riechen konnte, seinen Nachbarn. »Was hat er …«
    Der indische Ministerpräsident starrte ihn an. Seine Augen wurden schmal, und sein Mund verzog sich zu einer wütenden Grimasse.
     Mit einem erstickten Schrei sprang er auf und griff mit seinen dürren Händen nach Karims Hals.
    Karim war so überrascht, dass er einen Moment lang überhaupt nichts tat. Sein Stuhl kippte um, und er fiel rücklings auf den
     Boden. Der Inder plumpste auf ihn. Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatte er eine erstaunliche Kraft, und es gelang ihm,
     Karim die Luft abzudrücken.
    Undeutlich nahm er war, dass überall um ihn herum Menschen aufschrien, Stühle umfielen, Geschirr zerbrach. Doch er hatte keine
     Zeit, sich darüber zu wundern. Sein Überlebensinstinkt setzte ein und mobilisierte seine Kraftreserven. Er schlug mit der
     Faust gegen die Schläfe des Inders. Die Brille des Mannes flog durch die Luft, und er stöhnte auf. Der Griff um Karims Hals
     lockerte sich ewas.
    Karim gelang es, den Mann von sich zu werfen. »Hören Sie auf, verdammt noch mal!«, brüllte er. In dem allgemeinen Tumult waren
     die Worte kaum zu verstehen.
    Der Inder sah ihn mit blutunterlaufenen Augen an, zog die Lippen zurück und bleckte die Zähne wie ein tollwütiger Hund. Er
     versuchte, Karims Bein zu packen. Diesmal aber war Karim besser vorbereitet. Er drehte sich zur Seite und kam wieder auf die
     Beine.
    |358| Der Inder schien vollkommen verrückt geworden zu sein. Nachdem Karim ihm entwischt war, wandte er sich um, rappelte sich auf
     und stürzte sich mit einem erstickten Schrei auf ein Knäuel aus Menschen, die neben ihm am Boden rangelten.
    Fassungslos starrte Karim auf das Chaos. Überall schlugen, traten und bissen die Staatsoberhäupter der halben Welt aufeinander
     ein. Es war wie eine Szene aus einer Slapstickkomödie – oder aus einem Horrorfilm. Nur, dass hier nicht irgendwelche Zombies
     übereinander herfielen, sondern die mächtigsten Männer der Welt.
    Hilfesuchend sah er sich um. Karim wusste nicht, was hier geschah, aber er wusste, es war eine Katastrophe. Ihm fiel auf,
     dass außer ihm nur Frauen nicht an der Auseinandersetzung beteiligt waren. Eine junge Kellnerin stand wie angewurzelt neben
     der Tür. Ein Tablett mit Kaffeekannen lag vor ihr auf dem Boden, aber sie rührte sich nicht und blickte nur mit runden Augen
     auf das unbeschreibliche Bild vor ihr. Die Ministerpräsidentin Pakistans saß immer noch an ihrem Platz. In ihren Augen standen
     Tränen. Die Ratspräsidentin der Europäischen Union war auf den Tisch geklettert, hatte die Arme ausgebreitet und versuchte
     offenbar, die Kämpfenden zu beschwichtigen, doch ihre Worte waren durch die Wutschreie der ineinander verkeilten Männer nicht
     zu verstehen.
    Die Gesichter einiger Menschen waren bereits blutüberströmt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es Tote gab. Verzweifelt
     überlegte Karim, was er tun konnte. Das Chaos hatte damit begonnen, dass der Generalsekretär geschnüffelt hatte. Es musste
     sich also um ein Gas oder so etwas handeln, das in den Raum geleitet worden war und die Konferenzteilnehmer durchdrehen ließ.
     Er musste irgendwie die Fenster öffnen!
    Die kugelförmige Hülle des Konferenzbereichs war aus |359| großen Glasdreiecken zusammengesetzt, die keinen Öffnungsmechanismus erkennen ließen. Also warf er einen Stuhl dagegen, doch
     das Glas war offensichtlich nicht so leicht zu zerbrechen.
    Er musste Hilfe holen. Er wollte gerade aus dem Raum laufen, als sich die Tür öffnete und mehrere Sicherheitskräfte mit Schutzhelmen
     und Maschinenpistolen in den Raum stürmten.

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