Der Duft
sonst noch etwas für Sie tun?«
»Sie … Sie wissen nicht zufällig, wo mein Kollege ist? Rafael Grendel?«
»Ist er noch nicht wieder in Deutschland?«
»Nein.«
»Ich werde mich mal erkundigen. Möglicherweise wird er immer noch von der CIA verhört. Sie wissen ja, wie die sind – die können
einen ganz schön ausquetschen, vor allem, |376| wenn es um Terrorismus geht. Machen Sie sich keine Sorgen, er wird sicher bald zurück sein!«
»Danke, Jack!«
»Auf Wiedersehen, Marie. Und nehmen Sie erst mal ein paar Wochen Urlaub – Sie brauchen die Erholung.«
»Das werde ich. Wiederhören, Jack.«
Marie legte auf und blickte in die geweiteten Augen ihres Vaters. »Habe ich das gerade richtig verstanden? Du hast eben mit
dem Sicherheitsberater des Weißen Hauses telefoniert?«
Marie erlaubte sich ein dünnes Lächeln. »Ja.«
»Wow! Ich bin wirklich beeindruckt! Ich meine, ich habe ja schon ein paar berühmte Leute kennengelernt in meinem Leben, aber
der Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika – alle Achtung!«
Marie fühlte sich plötzlich bleischwer. »Ich glaube, ich lege mich ein bisschen hin«, sagte sie. »Ich bin ziemlich erschöpft.«
»Natürlich. Wir haben dir das Gästezimmer vorbereitet. Brauchst du noch irgendwas?«
»Nein, danke.«
»Dann erhol dich gut.«
»Das werde ich. Ich bin sicher, morgen geht es mir wieder besser. Danke, Papa.«
Er grinste breit. Dann umarmte er sie spontan. »Das wird schon wieder, mein Mädchen!«
Sie nickte, doch ihre Unruhe wich nicht.
Am nächsten Morgen erwachte Marie verspannt. Ihr ganzer Körper schmerzte, als sei ihm jetzt erst so richtig klar geworden,
was er in den vergangenen Tagen durchlebt hatte. Sie hatte schlecht geschlafen und war mehrmals in der Nacht schweißgebadet
aufgewacht. Einmal hatte sie geträumt, ihr eigener Vater habe sie an Ondomar verraten. |377| Dann wieder war sie in dem Wandschrank ihrer Kindheit eingesperrt und hörte draußen Handwerker fröhlich pfeifend die Schranktür
zumauern. So oder so war sie froh, dass die Nacht vorbei war, auch wenn sie sich immer noch müde fühlte.
Eine ausgedehnte heiße Dusche, ein opulentes Frühstück, ihr gut gelaunter Vater und Irenes starker Kaffee halfen, die Nacht
zu vergessen. Die Zweifel in ihrem Hinterkopf waren nicht verschwunden, aber es gelang ihr, sich selbst davon zu überzeugen,
dass sie alles getan hatte, was sie tun konnte. Schließlich war sie keine Agentin oder so. Sie hatte den Sicherheitsberater
von Präsident Zinger auf ihren Verdacht hingewiesen. Falls ihr Gefühl stimmte und tatsächlich noch jemand anderes Zugriff
auf das Pheromon hatte, war das einfach nicht mehr ihr Problem. Die CIA oder das FBI oder sonstwer würde die Sache schon in
die Hand nehmen. Wo immer Rafael gerade steckte, er würde wieder auftauchen. Wahrscheinlich war er längst zurück in Berlin,
oder er war wie Marie zu seinen Eltern gefahren, um sich von den Strapazen zu erholen – wo immer seine Eltern leben mochten.
Es passte zu seiner schludrigen Art, dass er sich nicht sofort im Büro meldete.
Marie beschloss, sich keine Sorgen mehr zu machen und in ihre Wohnung zu fahren, um sich neue Kleidung und Waschzeug zu holen.
Dann würde sie einfach ein paar Tage hier bei ihrem Vater entspannen. Er bot ihr an, sie zu fahren, doch sie ließ sich nur
an der nächsten U-Bahn-Station absetzen. Sie besaß kein Auto – für eine Beraterin, die nur selten an ihrem Heimatort war,
lohnte sich das einfach nicht – und legte Strecken innerhalb Berlins meist mit dem Taxi zurück. Doch heute hatte sie Lust,
mit der U-Bahn unterwegs zu sein, zwischen ganz normalen Leuten, und sich auf diese Weise davon zu überzeugen, dass sie wirklich
wieder zu Hause war.
|378| Als sie aus dem Auto ihres Vaters stieg, sah sie einen grauen Wagen an der U-Bahn-Station halten. Ein Mann mittleren Alters
in einem dunklen Mantel stieg aus. Er warf Marie einen kurzen Blick zu, dann ging er zum Bahnsteig.
Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie bei seinem Anblick. Sie verabschiedete sich von ihrem Vater und ging zögernd zu den
Gleisen. Um diese Zeit waren nur relativ wenige Leute unterwegs – eine Frau mit zwei kleinen Kindern, ein älteres Ehepaar,
zwei Jugendliche, die offenbar keine Lust mehr hatten, zur Schule zu gehen. Der Mann stand dort und wartete. Was sonst hätte
er auch tun sollen? Er beachtete Marie nicht.
Sie schüttelte über sich selbst den
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