Der Duft
sich noch mit einem Kollegen treffen, bevor sie zu ihm kommen und ein
paar Tage ausspannen würde. Dann machte sie sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station. Rafaels Wohnung befand sich in einem
mehrstöckigen Gründerzeitbau in Kreuzberg. Marie klingelte mit klopfendem Herzen.
Er öffnete sofort, als habe er schon auf sie gewartet. »Hallo Marie. Komm rein. Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?«
Die Frage traf sie wie ein Faustschlag.
Er sah ihren Gesichtsausdruck. »Ich meine, das steht dir gut, echt, ist nur ein bisschen ungewohnt.«
Marie musste plötzlich lachen. Rafael war eben Rafael. »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte sie. Dann hielt sie es
nicht mehr aus. Sie warf alle Bedenken beiseite, ignorierte sämtliche Mahnungen ihres Verstandes und den Verhaltenskodex von
Copeland & Company, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.
Zuerst erschien er ein wenig erschrocken, doch dann erwiderte er den Kuss mit einer Intensität, als habe er wochenlang auf
diesen Moment gewartet.
Nach einer langen Zeit lösten sie sich voneinander, atemlos. |390| »Willst du nicht vielleicht erst mal reinkommen?«, fragte er.
Seine Wohnung war klein und nicht besonders elegant, aber zweckmäßig eingerichtet. Wie sie Rafael kannte, hatte er bestimmt
die ganze Zeit seit ihrem Anruf damit zugebracht, hier gründlich aufzuräumen.
»Möchtest du einen Kaffee?«
»Gern.«
Unter Kaffee verstand er offenbar ein Gebräu aus kochendem Wasser und löslichem Pulver, von dem er das Doppelte der empfohlenen
Menge in die Tassen schaufelte. Dazu stellte er eine Blechdose mit pappigen Keksen auf den Tisch. Marie dachte mit einer gewissen
Wehmut an Irenes Kaffeetafel. Sie würde Rafael wohl noch ein paar Dinge über Lebensstil beibringen müssen.
»Erzähl mal, wie war das, als du die Welt gerettet hast?«, fragte er, während er sich neben sie setzte.
»Später«, sagte Marie, stellte die Kaffeetasse beiseite und gab ihm mit ihren Lippen zu verstehen, was sie jetzt brauchte.
»Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?«, fragte Rafael eine Dreiviertelstunde später. Er lag neben ihr, immer noch etwas
außer Atem. Der Duft seines erhitzten Körpers war verlockend.
Marie streckte sich genüsslich auf dem zerwühlten Bett aus. Sie hätte ihn am liebsten wieder zu sich gezogen und weiter gemacht,
aber Rafael wirkte, als könne er eine Pause vertragen. »Okay.«
Also zogen sie sich an und schlenderten wenige Minuten später Hand in Hand durch die Straßen. Marie erzählte ihm von den Geschehnissen
in Riad, während er ihr von seinen Verhören berichtete. »Es ist unglaublich, wie oft die mir dieselben Fragen gestellt haben.
Aber es waren immer wieder |391| andere Leute. Irgendwann wusste ich selbst nicht mehr, was ich denen schon erzählt hatte und was noch nicht.«
Offenbar waren verschiedene Regierungsbehörden der USA daran interessiert, Ondomar aufzuspüren. So wie Rafael die Verhöre
beschrieb, schienen sie geradezu einen Wettkampf veranstaltet zu haben, wer die wertvollsten Informationen aus ihm herausholen
konnte. Vermutlich bekam derjenige, der Ondomar am Ende tatsächlich erwischte, eine hohe Belohnung.
Sie erreichten einen Park, der mitten in der Woche wohl nur von wenigen älteren Menschen aufgesucht wurde. »Ich glaube, ich
werde bei Copeland kündigen«, offenbarte Rafael, während sie unter alten Buchen entlangspazierten, deren Laub den Weg bedeckte.
Marie erschrak. »Was? Warum denn?«
Rafael blieb stehen. Er sah sie an, und seine Augen wirkten ernst. »Ich passe da nicht hin. Die Unternehmensberatung ist nicht
meine Welt, das ist mir klar geworden. Ich muss etwas machen, bei dem ich meine eigenen Ideen verwirklichen kann. Vielleicht
werde ich irgendwann selbst eine Firma gründen. Und außerdem … Marie, ich liebe dich! Ich möchte mit dir zusammen sein. Und
du weißt, dass das bei Copeland nicht geht.«
Marie grinste. »Blödsinn! Es gibt zwar diese Regel in den Firmenstatuten, Mitarbeiter dürften kein Verhältnis miteinander
haben, aber die ist nach deutschem Recht gar nicht zulässig. Ich bin sicher, das wird niemand so eng sehen. Und was deine
Selbständigkeit angeht, kannst du das doch später immer noch machen. Ich glaube, du kannst bei Copeland noch eine Menge lernen.
Und außerdem bist du eine echte Bereicherung für die Firma. Du denkst nicht so wie ein typischer Berater, und das ist gerade
gut!«
»Und du?«, fragte Rafael.
»Was,
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