Der Duft
nicht wahr? Wenn ich Herrn Borlandt richtig verstanden habe,
dann sollen Sie das große Potenzial, das in Olfana steckt, bewerten und richtig darstellen, damit auch die Börse es endlich
versteht, richtig?«
Marie hielt es für besser, dieser Darstellung nicht zu widersprechen. Sie nickte.
»Judith, ich meine Frau Meerbusch, hat Ihnen ja bereits einen Raum zur Verfügung gestellt. Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
|58| »Ja, alles perfekt, vielen Dank!« Marie war Scorpas fast überschwängliche Freundlichkeit irgendwie suspekt. Es war offensichtlich,
dass der Geschäftsführer die Berater, wenn er sie schon nicht loswerden konnte, für sich einnehmen wollte.
»Also, wie werden Sie vorgehen?«, fragte er.
Marie sah auf ihren Zettel, auf dem sie sich ein paar Fragen und benötigte Unterlagen notiert hatte. Sie hatte am Sonntag
noch ein wenig im Internet recherchiert und dabei einiges über Scorpa herausgefunden, der an der Universität von Barcelona
über die chemischen Prozesse im Geruchssinn von Ratten promoviert hatte. Danach hatte er eine Weile an der Universität doziert.
Sein Name tauchte im Zusammenhang mit Forschungsprojekten für die französische Kosmetikindustrie auf. Vor sieben Jahren hatte
er dann als Leiter Forschung und Entwicklung bei Olfana angefangen. Als die Firma von der Oppenheim AG übernommen wurde und
der Gründer das Unternehmen verließ, war er zum Geschäftsführer berufen worden.
»Wir würden uns zuerst gern einen Überblick über die Firma verschaffen. Wir brauchen detaillierte Zahlen über Mitarbeiter
und Kostenstrukturen. Vor allem aber würde ich gern verstehen, an welchen neuen Produkten Sie arbeiten. Wenn ich es richtig
sehe, investieren Sie etwa zwanzig Prozent Ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Was genau entwickeln Sie denn eigentlich?«
Scorpa erhob sich. »Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen!«
Er führte sie durch einen tristen Flur und eine Treppe hinab bis in einen großen, langgestreckten Raum ohne Fenster. Ein intensiver
Tiergeruch schlug ihnen entgegen. An den Wänden waren endlose Reihen mit Käfigen und Terrarien angebracht. Darin befanden
sich Ratten und Mäuse, aber vor allem Käfer und Fluginsekten in allen möglichen bizarren Formen. Eine junge Frau mit Pferdeschwanz |59| stand vor einem der Käfige und machte sich Notizen auf einem Klemmbrett.
Marie beschlich bei diesem Anblick ein unangenehmes Gefühl. Es war klar, dass man, um Schädlingsbekämpfungsmittel zu entwickeln,
Experimente mit Schädlingen durchführen musste. Trotzdem war ihr, als betrete sie eine Folterkammer. Wenigstens gab es keine
Hunde, Katzen oder Affen in den Käfigen, wie sie die Plakate der Tierschützer auf den Einkaufsstraßen Berlins zeigten.
»Selbstverständlich werden alle Tiere artgerecht gehalten«, sagte Scorpa, als habe er ihre Gedanken erraten. »Wir tun ihnen
nichts an. Wir testen lediglich ihre Reaktionen auf bestimmte olfaktorische Reize. Das ist für sie nicht schlimmer, als wenn
Sie in einer Parfümerie an verschiedenen Fläschchen riechen.«
»Aber Sie arbeiten doch an Mitteln, mit denen Sie diese Tiere in der Natur bekämpfen wollen.«
»Ja, natürlich. Aber wir gehen eben auf eine sanfte Art gegen sie vor. Wir verwenden kein Gift, wir tun den Tieren nicht einmal
weh.«
Er führte Marie zu einem großen Glaskasten, in dem ein schwarzes Gewimmel herrschte: Hunderte winzige Ameisen drängten sich
auf einem großen Haufen, aus dem ein nackter Schwanz herausragte. Offenbar eine tote Maus.
»Passen Sie mal auf!«, sagte Scorpa. Seine Augen glänzten vor Stolz. Er nahm eines von mehreren kleinen Glasfläschchen mit
computerbedruckten Etiketten, die neben dem Terrarium standen, stieß kurz eine Pipette hinein, öffnete den Deckel des Glaskastens
und ließ einen kleinen Tropfen auf den Kadaver fallen. Sofort stoben die Ameisen in alle Richtungen auseinander. Der blutige
Mauskörper blieb zurück.
Marie wandte ihren Blick ab. Offenbar ging man hier |60| doch nicht immer so pfleglich mit Versuchstieren um, wie Scorpa behauptet hatte.
»Wie Sie sehen, haben wir einen recht wirksamen Geruchsstoff zur Abschreckung von Ameisen entwickelt. Er ist für den Menschen
kaum wahrnehmbar.«
Marie sah noch nicht so recht, wie man damit Geld verdienen konnte. »Ich habe immer gedacht, Ameisen seien nützlich.«
»Sind sie auch, jedenfalls hier bei uns im Wald. Aber in Südamerika gibt es Treiberameisen, Völker aus Millionen
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