Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Duft

Titel: Der Duft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
einem Schemel neben dem Tisch saß eine Afrikanerin in einem blauen Kleid, bedruckt mit komplizierten geometrischen Mustern
     in Gelb und Orange. Sie hatte dem Fenster den Rücken zugewandt und wiegte sich leicht vor und zurück, während sie weiter ihre
     beruhigende, melancholisch klingende Melodie sang. Sie schien ein Baby im Arm zu halten.
    Irritiert und auf seltsame Weise fasziniert beobachtete Marie die Frau. Die Hütte gehörte eindeutig zum Feldlabor. Dass die
     Frau ihr Kind ausgerechnet hier in den Schlaf wiegte, war merkwürdig.
    Die Afrikanerin hörte auf zu singen, erhob sich und drehte sich um. Marie wollte sich wegducken – sie hatte wegen ihrer heimlichen
     Beobachtung ein schlechtes Gewissen. Doch in diesem Moment sah sie, dass es kein Baby war, das die Frau im Arm trug. Jedenfalls
     kein menschliches. Es war ein Affe. Ein Schimpanse vielleicht. Nein, das Tier hatte ein pechschwarzes Gesicht. Es musste ein
     Gorillajunges sein. Jetzt sah sie auch ein paar Augen in einer der Gitterboxen aufblitzen.
    Marie lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Hier waren Menschenaffen eingesperrt!
    Die Afrikanerin riss die Augen auf. Sie legte das Baby rasch in eine der Boxen, verschloss die Tür und floh dann |149| aus der Hütte, wobei sie einen langen Schwall Suaheli ausstieß. Für Marie klangen ihre Worte wie eine angstvolle Entschuldigung,
     so als befürchte sie eine schreckliche Strafe.
    Marie rief ihr auf Englisch nach, sie solle bitte warten, sie brauche keine Angst zu haben, doch die Frau blieb nicht stehen
     und war rasch im Dickicht verschwunden.
    Fassungslos betrat Marie die Hütte. Im Inneren stank es entsetzlich. Zwei ausgewachsene Gorillas saßen apathisch in ihren
     engen Käfigen und blickten sie aus leeren Augen an. Das Baby streckte ihr eine Hand durch die Gitterstäbe entgegen.
    Marie traten Tränen in die Augen, gleichzeitig kochte heiße Wut in ihr hoch. Das also war es, was Olfana hier in Afrika trieb:
     Tierversuche an Menschenaffen! Noch dazu an den extrem bedrohten Berggorillas. Im Reiseführer hatte es geheißen, es gäbe davon
     nur noch ein paar Hundert in der Gegend der Virunga-Vulkane.
    Rafael hatte recht gehabt.
    Sie schloss die Tür und rannte zurück zum Labor. Erst kurz, bevor sie aus dem Dickicht stürzte, wurde ihr klar, dass sie vorsichtig
     sein musste. Was hier geschah, verstieß gegen sämtliche internationalen Vereinbarungen zum Artenschutz, gegen deutsches Recht
     und sicher auch gegen die Gesetze Ugandas.
    Sie wartete einen Moment, bis sie wieder ruhiger atmete. Dann trat sie aus dem Gebüsch und schritt so ruhig wie möglich auf
     das Laborgebäude zu.
    Gerade, als sie den Aufenthaltsraum betreten wollte, öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Borg kam heraus. Als er ihr
     Gesicht sah, wurde er sofort misstrauisch. »Frau Escher! Ist Ihnen nicht gut?«
    Marie schluckte. »Ich … ich war … auf der Toilette«, sagte sie.
    |150| Borg nickte verständnisvoll. »Ja, das ist nicht sehr schön, wenn man es nicht gewohnt ist. Tut mir leid, aber wir haben hier
     leider nichts anderes. Möchten Sie ein Glas Wasser?«
    »Es … es geht schon, danke.« Ehe Borg weitere Fragen stellen konnte, verschwand sie in dem Raum, der Rafael und ihr zur Verfügung
     gestellt worden war.
    »Wie siehst du denn aus?«, fragte ihr junger Kollege. »Was ist passiert?«
    Marie konnte kaum sprechen, so dick war der Kloß in ihrem Hals. »Es … es ist schrecklich! Dein Gefühl war richtig! Ich … ich
     …«
    »Jetzt beruhige dich erst mal. Und dann noch mal ganz langsam: Was hast du gesehen?«
    »Ich … ich war auf der Toilette. Und dann … da war ein Pfad in den Dschungel. Ich bin ihm gefolgt, und da habe ich Gesang
     gehört. Da war eine Hütte, und darin … sie machen hier Tierversuche, Rafael. Mit Berggorillas!«
    »Was? Bist du sicher?«
    Allmählich beruhigte sich Marie so weit, dass sie Rafael beschreiben konnte, was sie gesehen hatte.
    »Zeig es mir«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Keine Ahnung, was Borg macht, wenn er herausfindet, dass wir die Gorillas entdeckt
     haben.«
    Rafael nickte. »Dafür wandert der sicher ein paar Jahre in den Knast. Soweit ich weiß, nimmt die Ugandische Regierung den
     Gorillaschutz ziemlich ernst. Aber wir brauchen Beweise, wenn wir seinem Tun hier ein Ende setzen wollen.« Er wühlte in dem
     Chaos seiner Laptoptasche und förderte eine kleine, silberne Digitalkamera zutage. »Eigentlich hatte ich die für ein

Weitere Kostenlose Bücher