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Der Duft

Titel: Der Duft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wurde diffuser. Der Hang flachte etwas ab, und aus den niedrigen Bäumen und
     Büschen wurden mächtige Stämme, die mindestens zwanzig Meter in die Höhe ragten und mehr als eine Armspanne durchmaßen. Das
     immer dichtere Laub schirmte das trübe Licht des Abends ab, ohne jedoch den Regen davon abzuhalten, an den übersättigten Blättern
     abzugleiten und in dicken, kalten Tropfen auf sie herabzuprasseln.
    Immerhin führte das schlechte Wetter offenbar dazu, dass die Soldaten ihre Suche abbrachen, denn aus der Ferne hörten sie,
     wie die Dieselmotoren angelassen wurden und sich bald darauf entfernten.
    »Wollen wir nicht zur Straße zurück?«, fragte Marie. »Dann könnten wir viel schneller in die Stadt kommen und die Polizei
     informieren.«
    Rafael schüttelte den Kopf. »Wenn ich der Kommandant dieser Typen wäre, würde ich einen Posten zurücklassen, der irgendwo
     am Wegrand lauert, um genau diesen Fall abzusichern. Nein, wir müssen uns heute Nacht hier verstecken. Morgen können wir versuchen,
     irgendwo am Rand des Waldes eine Farm oder ähnliches zu finden und von dort aus die Polizei zu verständ…«
    Ein Brüllen zerriss die Stille, dunkel und urtümlich. Es hatte etwas Menschliches, konnte jedoch unmöglich von |173| einem Menschen stammen. Kurz darauf erklang ein dumpfes Pock-Pock-Pock. Das Gebrüll wurde von Affen hoch oben in den Bäumen
     mit aufgeregtem Kreischen beantwortet.
    Marie schrak zusammen. »Was war das?«
    »Keine Ahnung.« Rafael zeigte auf einen der Bäume. In etwa zwei Meter Höhe hatte er einen fast waagerechten Ast, der mit Moos
     und Farnen bewachsen und so breit war, dass man gut darauf sitzen konnte. »Besser, wir suchen uns einen halbwegs sicheren
     Lagerplatz für die Nacht.«
    Marie war nie eine große Kletterin gewesen, außerdem war sie erschöpft, und ihr Kopf schmerzte immer noch. Auch Rafael stellte
     sich nicht besonders geschickt an. Nur mit großer Mühe schafften sie es, sich an der nassen Rinde des Baums hochzuziehen.
     Der Ast war dann aber überraschend bequem. Wunderschöne weiße Orchideen wuchsen darauf und verströmten ein sanftes, einladendes
     Aroma. Das Polster aus Moos war wie eine Matratze, wenn auch klitschnass. Aber da Marie ohnehin bis auf die Haut durchweicht
     war, verschwendete sie keinen weiteren Gedanken daran. Ihr graues Kostüm und die eleganten Lederschuhe waren den Umständen
     so angemessen wie Gummistiefel in einer Vorstandspräsentation. Sie zitterte vor Kälte. Die ganze Situation erschien ihr absurd,
     unwirklich. Wieso war sie hier, gejagt, in einer fremdartigen, gefährlichen Welt voller handtellergroßer Spinnen und brüllender
     Raubtiere? Einen schrecklichen Moment lang hatte sie das Gefühl, es sei alles nur eine Wahnvorstellung, ein fiebriger Traum.
     
    »Marie!«
    Das kleine Mädchen lässt Schaufel und Backförmchen in die Sandkiste fallen und dreht sich zu seiner Mutter um, die in der
     Haustür steht und ihr winkt.
    |174|
»Komm schnell, Marie!« Die Mutter klingt, als habe sie Angst.
    Das Mädchen steht auf. Sorgfältig klopft es sein rot-grün kariertes Kleid ab. Die Mutter mag es nicht, wenn sie Sand ins Haus
     trägt.
    »Marie!« Die Mutter kommt aus dem Haus gerannt. Sie packt das kleine Mädchen am Arm und zerrt es hinter sich her zum Hauseingang.
    »Aua, Mami, du tust mir weh! Was ist denn?«
    »Sie kommen!«, ruft die Mutter. Ihre Augen sind vor Angst geweitet. »Sie kommen!«
    Das Mädchen fängt an zu weinen. Es spürt, dass eine schreckliche Gefahr droht.
    Sie stürzen ins Haus, hasten die Treppe hinauf. Das kleine Mädchen stolpert, stößt sich das Knie. »Ich kann nicht so schnell,
     Mami!«
    Die Mutter achtet nicht darauf. Sie zieht das weinende Kind hinter sich her wie einen schweren Koffer. Sie öffnet die Tür
     zu dem kleinen Wandschrank unter der Dachschräge. Ein paar Umzugskartons mit alten Kleidern sind darin. Ein muffiger Geruch
     schlägt dem Mädchen entgegen.
    »Schnell, da rein!«, ruft die Mutter. »Und sei ganz still! Dann finden sie dich nicht!«
    Ehe sie fragen kann, wer sie nicht finden darf, schubst ihre Mutter sie in den Wandschrank und schließt die Tür. Es wird dunkel.
     Das Mädchen hört, wie der Schlüssel des Wandschranks umgedreht wird. Dann hastige Schritte auf der Treppe. Stille.
    Sie wagt kaum zu atmen, kann jedoch einen gelegentlichen Schluchzer nicht unterdrücken. Sie hält sich beide Hände vor den
     Mund, damit die bösen Männer es nicht hören. Ein winziger Lichtpunkt

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