Der Dunkle Code
alles ausplaudern lassen.«
Die kalte Faust der Angst umschloss Aaros Magen. Seine schlimmste Vermutung wurde also wahr. Er versuchte, ruhig zu atmen und klar zu denken. Er blickte auf Niko, dessen Miene sein eigenes Entsetzen widerspiegelte.
»Ich kann euch nicht alles ausplaudern lassen«, wiederholte Gruber. »Und das ist der Schlüssel zur Lösung, zur sauberen, ordentlichen Lösung. Zu einer Lösung, von der wir alle profitieren.«
Der Deutsche drehte sich zu ihm um. Das LED-Licht an seiner Stirn leuchtete wie die Lampe eines Bergmanns. Seine Gesichtsmuskeln waren jetzt entspannt, in den Augen blitzte etwas auf, was Aaro als einen Hauch von Menschlichkeit zu interpretieren versuchte.
»Ihr bekommt einen Teil des Fundes«, sagte Gruber und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Es wurde still im Wagen.
»Wie bitte?«
»Ihr bekommt einen Teil des Fundes, der sich an dem Ort befindet, zu dem der Code uns führt. Falls er dort ist. Das wird sich bald herausstellen.«
Aaro musste angesichts dieses wahnsinnigen Vorschlags schlucken. »Ist das Ihr Ernst?«, fragte er, obwohl ihn die Vorstellung zweifellos auch faszinierte – vor allem, wenn er und Niko dadurch am Leben bleiben konnten. »Wir sollen Ihre Komplizen werden?«
»Was heißt hier Komplizen?«, schnaubte Gruber.
»War der Diebstahl des Gemäldes aus den Vatikanischen Museen denn kein Verbrechen?«
»Sie haben es ja zurückbekommen, unbeschädigt«, erklärte Gruber stur.
»Nachdem sie Lösegeld dafür bezahlt haben, hieß es in der Zeitung. War es kein Verbrechen, das anzunehmen?«
»Doch. Das war ein Verbrechen. Aber ich habe es nicht begangen. Ich habe nicht einen Cent davon behalten. Das Einzige, was ich aus dem Vatikan bekommen habe, waren die Zahlen und Buchstaben, die in der Leinwand versteckt waren.«
»Wer hat denn davon profitiert?«
Der Deutsche räusperte sich. »Habgierige Leute. Dummköpfe. Einer von ihnen ist bereits geschnappt worden. Das hat man der Öffentlichkeit bloß noch nicht mitgeteilt.«
»Bei aller Habgier und Dummheit sind sie doch Verbrecher.«
Nun wirkte der Deutsche wieder unsicher und nervös. »Also gut. Auch die übrigen Erpresser verdienen ihre Strafe. Wir erstatten anonym Anzeige bei der italienischen Polizei. Danach ist alles bereinigt. Hier ist kein Verbrechen geschehen und es wird auch zu keinem kommen. Der Fund, der am Ende der Code-Kette steht, geht niemanden etwas an. Der Staat, dem er gehört hat, das ›Großdeutsche Reich‹, existiert nicht mehr. Der Schatz gehört seinem Finder.«
»Historische Schätze gehören der Museumsbehörde, die …«
»Historisch?«, schnaubte Gruber mit einer Mischung aus Wut und Gereiztheit. »Ein gut sechzig Jahre alter Fund besitzt keinen musealen Wert. So kommen wir nicht weiter, du bist viel zu kindisch und vorlaut, um den wahren Sachverhalt zu verstehen. Ich bin kein Krimineller, ich suche nur die Lösung für eine schwierige Intelligenzaufgabe, die mein Vater hinterlassen hat. Falls wir dadurch zu etwas Wohlstand kommen, schadet das niemandem.«
Aaro hätte schwören können, dass Grubers Augen feucht glänzten, als er von seinem Vater sprach, aber das musste eine optische Täuschung gewesen sein.
Das Auto passierte einen kleinen, runden Bergsee. Das O des Codes … Oder nicht? Der Mond spiegelte sich im pechschwarzen Wasser. Die Straße stieg steil an und bald lag der See weit unter ihnen. Achim schaltete einen Gang herunter, worauf der Motor laut aufheulte. Aaro merkte, dass Niko sich heimlich am Türgriff zu schaffen machte. Er selbst hatte schon zu Beginn der Fahrt gemerkt, dass die Kindersicherung aktiviert war und die hinteren Türen von innen nicht geöffnet werden konnten. Auch die hinteren Fenster konnte nur der Fahrer herunterlassen.
Aaro dachte über das Angebot des Deutschen nach und stellte fest, dass er wesentlich mehr daran interessiert war, als der Mann vermutlich glaubte. Vor allem aber war Aaro mehr daran interessiert, als er selbst es sich vorgestellt hatte. Neugier war bekanntlich ein Laster, aber sie war auch notwendig, so wie er es Jaakko erklärt hatte. Und jetzt musste sich Aaro eingestehen, dass er unendlich neugierig darauf war zu sehen, worum es ging. Aber hatten sie denn eine andere Möglichkeit, als das Angebot des Deutschen zu akzeptieren? Würden sie sich nicht in Lebensgefahr begeben, wenn sie sich querstellten? Man würde sie auslöschen und der Deutsche und sein Gehilfe würden mit falschen Pässen nach
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