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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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Zimmer auf und ab, zertrat die auf dem Boden liegenden Rosen und trampelte auf Marias türkisfarbenem Seidenslip herum. Maria scherte sich nicht darum. Sie wusste, dass sie ihn ohnehin nie wieder tragen würde. Ebenso wenig wie ihre rosafarbene Lieblingsunterwäsche, die immer noch auf dem Bett lag. Denn wenn sie sie anzog, würde sie dabei nur an dieses grauenhafte Szenario denken müssen.
    Maria saß auf dem Bettrand, hatte den Kopf in die Hände gestützt und starrte auf den Boden. Die Vorstellung, dass irgendein Fremder hier in ihrem Zimmer gewesen war, mit seinen gierigen Fingern in ihrer Unterwäsche gewühlt, ihre privaten Sachen betrachtet und vielleicht sogar auf ihrem Bett gelegen hatte, sorgte für ein flaues Gefühl in ihrem Magen. Wer konnte das bloß getan haben? Ihr fiel eigentlich nur ein Mensch ein, den sie zu so etwas für fähig hielt. Natürlich konnte sie nicht mit hundertprozentiger Gewissheit sagen, dass es Gianluca gewesen war, der ihre Sachen durchstöbert hatte. Aber wer sollte es sonst gewesen sein?
    Angelo schnaufte vor Wut. Eigentlich hatte Maria gehofft, die Anwesenheit ihres Verlobten würde ihr Trost spenden und sie beruhigen. Doch das Gegenteil war der Fall. Er schien noch aufgebrachter zu sein als sie selbst und so hatte Maria das Gefühl, sie müsse eigentlich ihn beruhigen.
    » Coglione! Der kann was erleben!«
    Maria, die Angelos Schimpftirade bisher wortlos hatte über sich ergehen lassen, horchte auf. »Was meinst du damit?«
    »Ich werde diesem Arschloch gehörig den Marsch blasen!«, ereiferte sich Angelo. »Der wird es nicht noch einmal wagen, in deine Nähe zu kommen, wenn ich mit ihm fertig bin. Darauf kannst du dich verlassen!«
    »Was hast du vor?« Maria erhob sich vom Bettrand und umfasste Angelos Oberarm. Sie konnte seine angespannten Muskeln fühlen und spürte Angst in sich aufsteigen.
    Doch Angelo schüttelte sie ab. Im Augenblick konnte er ihre Nähe nicht ertragen.
    »Angelo!«, rief Maria, als er zur Tür hinausstürzte. »So warte doch! Mach keinen Unsinn! Wir rufen die Polizei!«
    Doch Angelo rannte bereits die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und ließ sich nicht einmal genügend Zeit, um die Haustür hinter sich zu schließen.
    »Angelo!«, rief Maria noch einmal.
    Aber es war bereits niemand mehr da, der sie hören konnte.
     
    Signore Morelli nickte dem barbaresco, dem Pferdepfleger, zufrieden zu. Die casa del cavallo war in einem hervorragenden Zustand. Die jungen Männer hatten gute Arbeit geleistet und der Ankunft des Pferdes, vorzugsweise Fabioncello, der das Rennen am Vormittag erwartungsgemäß dominiert hatte, stand nichts mehr im Wege.
    Der barbaresco Matteo bedankte sich für das Lob des capitano mit einem stolzen Lächeln, das noch breiter wurde, als Morelli ihm zum Abschied anerkennend auf die Schulter klopfte.
    Wohin auch immer der Blick des capitano fiel, während er durch die Straßen und Gassen streifte und überall nach dem Rechten sah, wurde er hochachtungsvoll gegrüßt. Jeder, dem sich die Gelegenheit bot, schüttelte ihm freudestrahlend die Hand, wechselte ein paar Worte mit ihm, erkundigte sich nach dem Stand der Dinge. Signore Morelli war in diesen Tagen die wichtigste Person seiner Contrade. Vermutlich hätte selbst das Erscheinen des Papstes nicht mehr Freude auslösen können.
    Morelli genoss diese Sympathiebekundungen. Das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde, ehrte ihn, und die Verantwortung, die er trug, machte ihm nicht etwa Angst, er hatte vielmehr das Gefühl, daran zu wachsen. Er war ohnehin ein Mensch, der es gewohnt war, Verantwortung zu übernehmen. Und ihm lag so viel am Palio und an seiner Heimatstadt Siena, dass er jetzt bereits das dritte Jahr in Folge seinen Jahresurlaub dafür hergab, als capitano dell’ aquila den Palio zu organisieren, während sein Kompagnon die Geschäfte allein verwaltete.
    Gerade unterhielt sich Morelli mit Signore Bertani, dem ältesten Einwohner seines Stadtviertels, der im nächsten Monat siebenundneunzig Jahre alt wurde, und der, obwohl er sich beim Gehen schwer auf seinen Stock stützen musste, noch erstaunlich fit war.
    »Signore Morelli«, flehte Bertani mit brüchiger Stimme. »Ich habe nur noch einen letzten Wunsch, bevor ich abtrete.«
    »Aber Signore Bertani«, erwiderte Morelli, »Sie werden doch mindestens hundert Jahre alt, wenn Sie uns nicht sowieso alle noch überleben!«
    In die Augen des alten Mannes traten Tränen. »Ich wurde 1915 geboren. Am 26.

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