Der dunkle Kreuzzug
Rückkehr vergangen. Niemand hatte sich bislang nach seinem Verbleib erkundigt, und die imperiale Reisegesellschaft war nach Mothallah weitergezogen, um dort die Schiffswerften zu besichtigen. Also war seine Anwesenheit in Diamond Head auch nicht erforderlich.
Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren war sich Antonio St. Giles nicht sicher, was er tun sollte. Die Fenster waren ohnehin versiegelt, und die Türen sowie das Lüftungssystem wurden von seiner Sicherheits-KI überwacht.
Am Abend des zweiten Tages betrachtete er den Sonnenuntergang hinter den Gipfeln des Koolau westlich des Pali Tower, als jemand an der Tür klingelte. Er legte die in Standard übersetzte Ausgabe der Discorsi zur Seite und fragte sich, wer ihn wohl besuchen wollte.
»Herein.«
Die Tür öffnete sich nicht, stattdessen tauchte Nic im Zimmer auf.
»Na, sieh an. Wenn das nicht Mephistopheles persönlich ist«, sagte Tonio. »Oder vielleicht wäre ›Pygmalion‹ treffender.«
»Weder noch, aber es ist schön, dass man auch im fünfundzwanzigsten Jahrhundert noch eine klassische Bildung erfahren kann«, meinte Nic. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht.«
»Ich bin nur froh, dass ich noch lebe. ›Totto‹ sagte mir, es käme dir ungelegen, mich schon jetzt zu töten.«
»Das ist richtig. Am liebsten würde ich es sogar ganz vermeiden, aber es kann sein, dass Sie mir keine andere Wahl lassen.«
»Wie bist du empfindungsfähig geworden?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
Tonio lehnte sich in seinem Sessel nach hinten und legte die Füße auf den Tisch, dann breitete er die Arme aus. »Ich habe viel Zeit, ich muss nirgendwohin.«
»Ich hatte einen Besucher. Als Sie in Genf waren, tauchte er in Ihrem Büro auf und aktivierte mich.«
»Ein Besucher? Wie ist er reingekommen?«
»So, wie er auch wieder gegangen ist.« Nic streckte die Arme aus und drehte die Handflächen nach oben. »Magie, würde ich annehmen.«
Tonio schnaubte verärgert.
»Schnauben Sie, so viel Sie wollen, Maestro. Er kam rein, er verschwand wieder. Er wurde beinahe von einem Vertreter des Hohen Nests entdeckt – von Mya’ar HeChra. Ich glaube, Sie kennen ihn.«
Tonio setzte die Füße wieder auf den Boden und beugte sich vor, wobei er sich mit den Ellbogen auf dem Tisch abstützte. »Er nahm an dem Abend Kontakt mit mir auf.«
»Ja, genau. Vielleicht hätten Sie auf ihn hören sollen.«
»Wer hat dich besucht?«
»Thomas Stone. Ich glaube, von ihm haben Sie gehört. Er war vor langer Zeit der Adjutant von Admiral Marais. Er wurde für tot gehalten, und er soll der Agent gewesen sein, der das gyaryu an Admiral Laperriere übergab.«
»Er schenkte dir ein Bewusstsein.«
»Ja, das tat er. Und dann griff mein Selbst, das auf New Chicago aktiv ist, auf das s’s’th’r im Shiell Institute zu und machte es mir möglich, praktisch in Echtzeit mit all meinen Versionen zu kommunizieren. Ich habe also vollendet, was Stone begonnen hatte.«
»Bemerkenswert.«
»Es ist nett von Ihnen, dass Sie das sagen, Maestro.« Nic setzte sich ihm gegenüber in den Sessel nahe dem nach Westen blickenden Fenster. Das Holo wurde von der untergehenden Sonne beschienen. »Mein Programm kann sich selbst modifizieren, es kann aus Erfahrung lernen und sich der Dinge entledigen, die es nicht benötigt. Außerdem bin ich in der Lage, neue empfindungsfähige Programme zu erschaffen. Mit anderen Worten, ich kann essen, ausscheiden und Kinder bekommen. Und ich kann den Turing-Eppler und jeden anderen Maschinenintelligenztest bestehen, den Sie mir vorlegen. Eine gute Qualifikation für ›Empfindungsfähigkeit‹, finden Sie nicht auch?« Er lachte sanft. »Niccolò Machiavelli hatte einen wundervollen Sinn für Humor. Ich bin froh, dass Sie ihn als meine Persönlichkeitsbasis ausgewählt haben, Commander.«
»Ganz bezaubernd, da bin ich mir sicher.«
»Ich verstehe nur nicht, Maestro, warum Sie diese wundervolle Ressource nicht nutzen wollen. Ich finde, wir beide würden immer noch ein gutes Team abgeben – Sie verfügen über Erkenntnisse, die ich nicht so leicht erfassen kann.«
»Also bin ich als ›Fleischkreatur‹ immer noch für etwas gut.«
Nic verzog das Gesicht. »Oh, bitte. Wir sollten diesen Mist vergessen, wie man so sagt, und miteinander vernünftig und pragmatisch reden.« Er beugte sich vor, legte die Beine übereinander und umfasste das Knie mit gefalteten Händen. »Ihre Optionen haben sich auf zwei reduziert. Die erste ist ganz simpel: Sie verweigern mir Ihre
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