Der dunkle Ritter (German Edition)
der Junge. Sein schriller Schrei und seine heftige Gegenwehr begannen das Pferd des Ritters nervös zu machen. »Lass mich los, du großer stinkender Ochse!«
»Es ist gut«, beruhigte Emmalyn ihn. Ihre Stimme klang sanft, zitterte aber noch vom Schmerz ihrer Auseinandersetzung mit Cabal. »Niemand wird dir etwas tun«, versprach sie dem Jungen. »Sagst du mir deinen Namen?«
Sein misstrauischer Blick wandte sich ihr zu, und er schluckte. »Wat.«
»Wat? Wie in Walter?« Er nickte. »Nun, ich wollte dich gern sehen, Wat. Mein Name ist Emmalyn.«
Cabal hatte die Pferde vom Bach geholt und sie die Uferböschung hinaufgeführt, als er sah, wie sie die Hand nach dem Jungen ausstreckte und offensichtlich seinen Rat in den Wind schlug, sich von ihm fernzuhalten. Emmalyns Berührung und ihre freundliche Haltung schienen den Jungen zu beruhigen, und Cabal konnte sich fast das mitfühlende Lächeln vorstellen, das sie ihm im nächsten Moment schenken würde. Ein warmes Lächeln, wie Cabal es vermutlich nie wieder von ihr bekommen würde. Er redete sich ein, dass es ihm egal sei, dass es so besser sei.
»Wo sind deine räuberischen Eltern, Junge?«, verlangte er zu wissen, als er sich der Suchmannschaft näherte.
Emmalyn warf ihm über die Schulter einen zornigen Blick zu und griff nach den Zügeln ihres Pferdes. Der Junge hielt seinen Blick auf sie gerichtet, als er zittrig antwortete: »Mein Pa wurde getötet, bevor ich auf die Welt gekommen bin, und meine Mama ist weggegangen.«
»Und der Rest deiner Sippe?«, drängte Cabal. »Wo sind sie?«
»F-fort«, sagte Wat. »Sie sind alle davongerannt, nachdem sie aufgespürt worden sind und unser Lager niedergebrannt wurde.«
»Du bist ganz allein zurückgelassen worden?«, fragte Emmalyn. Als der Junge nickte, sagte sie: »Ich fürchte, ich kann dich nicht länger hier draußen in meinem Obstgarten hausen lassen, Wat. Es ist kein sicherer Ort für ein Kind. Wie würde es dir gefallen, stattdessen mit mir mitzukommen und in meiner Burg zu leben?«
Wats schmutziges kleines Gesicht erhellte sich sofort. Ohne auf seine Zustimmung zu warten oder Cabal auch nur anzusehen, um seine Meinung zu dieser Entscheidung zu erfahren, stellte Emmalyn einen Fuß in den Steigbügel und stieg auf ihr Pferd. »Dann also los«, sagte sie zu den beiden Rittern, und mit einem Ruck ihrer Zügel führte sie die kleine Gruppe aus dem Obstgarten zurück zur Burg. Es war, als existierte Cabal für sie nicht mehr.
15
Zwei Tage später ging Emmalyn die unerwartete und beunruhigende Auseinandersetzung mit Cabal noch immer im Kopf herum. Es war ihr gelungen, seitdem so gut wie kein Wort mehr mit ihm zu wechseln. Sie mied seine Nähe, wann immer sie konnte, und beklagte die Tatsache, dass sie ihn sich nicht einfach ganz aus Fallonmour fortwünschen konnte. Was das anging, gab es allerdings einen Hoffnungsschimmer: Gestern Morgen war ein Brief ihrer Schwester eingetroffen, die bei Lincolnshire lebte. Josette wusste, dass Emmalyn zum Markt in die Stadt kommen würde, und hatte sie eingeladen, sie zu besuchen und einige Tage zu bleiben.
Emmalyn konnte ihr Glück kaum fassen, als sie las, dass Josette ein großes Fest geben würde, zu dem auch Königin Eleanor erwartet wurde. Seit der Brief gekommen war, hatte Emmalyn den Abschnitt darüber wohl mindestens ein Dutzend Mal gelesen, um sich seines Inhalts immer wieder zu vergewissern. Sie würde mit der Königin über Fallonmours derzeitige Situation sprechen können, unabhängig davon, ob ihr Appell London inzwischen erreicht hatte oder nicht. Und es gab nichts, was Cabal tun könnte, um sie aufzuhalten.
Um ihre Gedanken mit anderen Dingen zu beschäftigen, hatte Emmalyn den kleinen Wat unter ihre Fittiche genommen. Der Junge war kaum noch als der wortkarge misstrauische Heimatlose wiederzuerkennen, der er bei seiner ersten Begegnung mit Emmalyn gewesen war. Mehrere Bäder, ein Haarschnitt und saubere Kleider hatten bei seiner Verwandlung mitgeholfen. Emmalyn vermutete allerdings, dass sein leichtes Sicheinfügen in das Leben auf der Burg stärker als die äußere Veränderung dafür verantwortlich gewesen war, dass er seine anfängliche Scheu abgelegt hatte. Nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass sein leerer Magen gefüllt worden war und er ein paar Nächte dringend benötigten Schlafes in der Halle mit dem Rest der Burgbewohner bekommen hatte, hatte Emmalyn den Jungen zur Seite genommen und ihm eine Pflicht aufgetragen, die er erfüllen sollte.
»In
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