Der dunkle Schirm
Sinnesdaten empfängt. Statt zweier Signale erhält es ein halbes Signal. Was meiner Ansicht nach ebenso schädlich ist.«
»Ja, aber partielle, nichtkonkurrierende Funktionen sind immer noch besser als gar keine Funktionen, weil paarweise auftretende, konkurrierende Überkreuz-Überlagerungen sich am Ende immer zu einer Null-Rezeption aufsummieren.«
»Sie sehen also, Fred, Sie können nicht länger…«
»Nein, ich werde nie wieder Substanz T einnehmen«, sagte Fred. »Für den Rest meines Lebens.«
»Wie viel konsumieren Sie jetzt?«
»Nicht viel… In letzter Zeit mehr. Wegen dem ganzen Stress hier.«
»Man sollte Sie von Ihren Aufgaben entbinden, Sie freistellen. Sie sind bereits geschädigt, Fred. Und Sie werden das für eine ganze Weile sein. Was danach kommt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Vielleicht werden Sie wieder voll da sein, vielleicht aber auch nicht.«
»Und wie kommt es«, murmelte Fred, »dass die beiden Hemisphären meines Gehirns, obwohl sie beide gleich dominant sind, nicht dieselben Reize empfangen? Warum können ihre beiden Was-auch-immer nicht synchronisiert werden wie zwei Stereo-Kanäle?«
Schweigen.
»Ich meine«, fuhr er gestikulierend fort, »die linke Hand und die rechte Hand – wenn die nach einem Objekt greifen, dasselbe Objekt, dann müssten…«
»Linksseitigkeit versus Rechtsseitigkeit und ihre Bedeutung, sagen wir mal, hinsichtlich eines Spiegelbildes – in dem die linke Hand zur rechten Hand wird…« Der Beamte beugte sich über Fred. »Wie würden Sie einen linken Handschuh im Gegensatz zu einem rechten Handschuh definieren, sodass jemand, der nichts über diese Begriffe weiß, versteht, welchen Sie meinen? Und nicht nach dem anderen greift? Das spiegelbildliche Gegenstück?«
»Ein linker Handschuh…«, sagte Fred und hielt inne.
»Es ist, als nähme eine Hemisphäre Ihres Gehirns die Wirklichkeit wie in einem Spiegel wahr. Durch einen Spiegel hindurch. Verstehen Sie? Darum wird links zu rechts, mit allen Implikationen, die sich daraus ergeben. Und wir wissen eben bisher noch nicht, was für Implikationen sich ergeben, wenn man die Welt auf diese Weise sieht. Topologisch gesprochen ist ein linker Handschuh ein rechter Handschuh, der durch die Unendlichkeit gezogen wurde.«
»Durch einen Spiegel hindurch«, wiederholte Fred. Ein dunkler Spiegel, dachte er, ein dunkler Schirm. Der heilige Paulus hatte, wenn er von einem Spiegel sprach, nicht einen Glasspiegel – die hatte es damals ja noch gar nicht gegeben – gemeint, sondern das Abbild seiner selbst, das er sah, wenn er auf den polierten Boden einer metallenen Pfanne blickte. Das hatte Luckman ihm bei einer seiner theologischen Vorlesungen erzählt. Kein Blick durch ein Teleskop oder eine Anordnung von Linsen, wo ja keine Umkehrung stattfindet, kein Blick durch irgendetwas, sondern der Anblick seines eigenen Gesichts, zu ihm zurückgespiegelt, und zwar verkehrt – durch die Unendlichkeit gezogen. Wie sie es mir die ganze Zeit begreiflich machen wollen: Nicht durch ein Glas hindurch, sondern von einem Glas zurückgespiegelt. Und diese Spiegelung, die auf dich zurückfällt – das bist du, das ist dein Gesicht, aber zugleich auch wieder nicht. Sie hatten in jenen alten Zeiten noch keine Kameras, darum war das die einzige Art, in der jemand sich selber sehen konnte: rückwärts.
Ich habe mich selbst rückwärts gesehen.
Ich habe in gewisser Weise damit angefangen, das gesamte Universum rückwärts zu sehen. Mit der anderen Seite meines Gehirns!
»Topologie«, sagte einer der Beamten gerade. »Eine bisher nur unzulänglich verstandene Wissenschaft oder mathematische Theorie – wie auch immer man sie bezeichnen will. Genau wie die Schwarzen Löcher im Weltall, die…«
»Fred sieht die Welt von innen heraus«, erklärte der andere. »Von vorne und von hinten zugleich vermutlich. Daher wird es uns schwer fallen zu sagen, wie sie ihm erscheint. Die Topologie ist ein Zweig der Mathematik, der jene Eigenschaften einer geometrischen oder anders gearteten Konfiguration untersucht, die unverändert bleiben, wenn das Objekt einer isomorphen, jeder denkbaren isomorphen, kontinuierlichen Transformation unterworfen wird. Aber angewandt auf die Psychologie…«
»Und wenn Objekte eine solche Transformation durchmachen – wer weiß, wie sie dann hinterher aussehen? Sie würden prinzipiell unerkennbar sein. Um ein Beispiel zu nehmen: Wenn ein primitiver Eingeborener zum ersten Mal eine Fotografie von sich sieht,
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