Der dunkle Spiegel
befohlen, sich noch ein paar Tage zu schonen. Er musste auch zugeben, dass er wie vom Donner gerührt war, als die Magd ihn am Nachmittag zu Jeans Krankenlager rief. Es traf auch zu, dass die Begine Almut eine lange Zeit ganz alleine mit dem Leidenden im Zimmer verbracht hatte. Befriedigt bemerkte der Inquisitor, wie sich Zweifel in dem Gesicht des Weinhändlers abzeichneten. Mit beredten Worten vertiefte er diese, ohne sich an dem ungläubigen Schweigen der Meisterin und dem nachdenklichen Stirnrunzeln des Benediktiners zu stören.
»Alles sehr einleuchtend, Bruder Johannes«, hatte de Lipa gesagt. »Aber warum sollte sie ihn umbringen?«
»Warum bringt eine Frau einen jungen, gut aussehenden Mann um? Gebt die Sünderin in meine Obhut, und wir werden schon bald wissen, welche dunklen Absichten sie dazu bewogen haben.«
Doch Bruder Johannes’ Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Pater Ivo mischte sich ein. Natürlich, diese verweichlichten Ordensbrüder des heiligen Benedikt hatten keinen rechten Biss, wenn es darum ging, einen Sünder zur Reue und Buße zu bewegen. Und zu allem Überfluss bezweifelte er auch noch, dass die Begine Schuld am Ableben des Mannes trug. Er argumentierte blendend, das musste man ihm lassen. De Lipa wurde wieder schwankend und wollte die Anklage zurückziehen. Aber dann trat etwas ein, was dem Inquisitor als endgültiger Beweis für die Schuld der Giftmischerin diente. Vor der Tür des Refektoriums gab es ein typisch weibliches Gezeter, und schon wollte er die Meisterin anherrschen, dem Gegacker ein Ende zu bereiten, als er Worte vernahm, die ihm von größtem Interesse erschienen. Gebannt lauschte er den beiden Stimmen.
»Du hast nichts in meiner Apotheke zu suchen, Almut!«, keifte die eine. »Nicht schon wieder. Du richtest hier nur Schaden an!«
»Elsa, ich habe doch nichts durcheinander gebracht, sondern mir nur ein wenig Salbe für Claras Fuß genommen. Dagegen hast du doch früher auch nichts gehabt. Was ist nur los mit dir?«
»Ich traue dir nicht, Almut. Du hast Unheil über uns gebracht mit deinen Machenschaften!«
»Was soll das denn heißen? Du hast mich doch selbst gebeten, dir zu helfen. Du hast gesagt, du brauchst Hilfe, weil Trine nicht alles versteht.«
»Hilfe? Du bist keine Hilfe! Du verwechselst die Kräuter, du nimmst heimlich von meinen Arzneien, du verführst Trine dazu, ihre seltsamen Tinkturen zu brauen, und wer weiß, was du sonst noch hier angerichtet hast. Kein Wunder, dass man dich als Giftmischerin verdächtigt. Ich will jedenfalls nicht schuld daran sein, wenn jemand Schaden durch meine Mittel erleidet!«
In diesem Augenblick war die Meisterin aufgestanden und hatte um Ruhe gebeten. Bruder Johannes jedoch bestand darauf, die beiden Frauen sofort zu vernehmen, und so saßen Almut und Elsa ihm denn endlich gegenüber. Wenn er zu einer solchen Handlung fähig gewesen wäre, hätte er sich die Hände gerieben, denn die fette Apothekerin mit dem gehetzten Blick konnte gar nicht aufhören, die andere Begine aller möglichen Untaten zu bezichtigen. Diese saß verstockt schweigend daneben und hatte die Hände so fest gefaltet, dass die Knöchel weiß wurden. Das war eine Giftmischerin, wenn Bruder Johannes je eine gesehen hatte. Wenn auch trotzig und uneinsichtig. Aber dagegen würde man etwas tun können. Doch bevor er überhaupt eine Frage an sie richten konnte, nachdem die Apothekerin endlich alles gesagt hatte, was ihr auf dem Herzen lag, hatte dieser Benediktiner schon das Wort ergriffen.
»Hier, verehrter Bruder Johannes, haben wir eine mächtige Anschuldigung zu hören bekommen. Und so muss ich mich Euch anschließen und darauf bestehen, dass die Schuld oder Unschuld dieser Begine bewiesen wird. Was mag da geeigneter sein, als Gott, den gerechten Richter, selbst sprechen zu lassen? Sollte sie unschuldig an der Ermordung des Jean de Champol sein, dann wird sie das Gottesurteil unbeschadet überstehen. Bruder Johannes, lasst uns die Bahrprobe vornehmen. Der Ermordete soll morgen zur letzten Ruhe gebettet werden, und ich werde dafür sorgen, dass er in der Kapelle vor dem Altar aufgebahrt wird. Dort soll diese Begine den Leichnam, wie es der Brauch fordert, dreimal auf Knien umrunden und dabei dreimal seinen Namen rufen. Sie soll ihn küssen und laut zu Gott schwören, dass sie unschuldig ist. Als er starb, ist eine große Menge Blut aus seinem Mund geströmt. Wenn er wieder blutet oder die Beschuldigte nicht in der Lage ist, ihn zu rufen, zu
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