Der dunkle Spiegel
Bedenken?«
»Ja, denn stellt Euch vor, es erkennt mich jemand. In der Kirche haben mich doch alle angestarrt.«
Aziza brach in unbändiges Lachen aus und fragte schließlich, mit Mühe um Atem ringend: »Und glaubt Ihr, irgendwer hätte da auf Euer Gesicht geachtet?«
Mit hochroten Wangen senkte Almut den Kopf.
»Ach, Schwester, jetzt habe ich Euch wehgetan!« Liebevoll legte Aziza den Arm um sie. »Ich weiß, es war sehr demütigend.«
»Schon gut. Ihr habt sicher Recht. Gebt den Reif her, ich will mich fertig machen.«
Die Schenke lag im Norden der Stadt, und zu Almuts Verblüffung war es wirklich die Seitenpforte eines Klosters, an die sie klopften, um eingelassen zu werden. Dort führte Aziza sie in ein spärlich erleuchtetes Kellergewölbe, in dem sich schon etliche Gäste eingefunden hatten, die sich lebhaft unterhielten. Aziza wurde mit freudigen Ausrufen begrüßt, und Almut fühlte sich inzwischen doch ziemlich unbehaglich. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, die nur von einigen qualmenden Kienfackeln in Mauernischen erhellt wurde, und sie erkannte drei lange Tische entlang der Wände, an denen die Zecher saßen. Es befanden sich einige Kutten tragende Brüder darunter und sogar zwei Nonnen, aber den größeren Teil bildeten weltlich gekleidete Männer. Die Unterhaltungen wurden laut geführt, doch noch war die Stunde nicht so weit fortgeschritten, dass trunkene Streithähne Krakeel veranstalteten. Ein äußerst unbegabter Fiedler begann, erbarmungslos auf seinem Instrument herumzukratzen, und machte sich damit zur Zielscheibe manch spöttischen Zurufs. Im Kamin hing ein bauchiger Topf vom Kesselhaken, der durchaus Appetit anregende Düfte verströmte, und so mancher hatte eine Schüssel mit der darin köchelnden dicken Suppe vor sich stehen. Schal hingegen roch der verschüttete Wein. Als sie am Tisch der Mönche vorbeiging, stieg ihr der Geruch der Heiligkeit unangenehm in die Nase. Den äußeren Leib mochten diese Brüder gering schätzen und seine Pflege vernachlässigen, das Innere ihres Körpers jedoch füllten sie mit fetten Würsten und starkem Wein.
Almut nahm alles mit großer Neugier auf, denn auch in der Zeit, bevor sie sich zum Beginenleben entschlossen hatte, war sie an solche Orte nicht gekommen. Aziza musste sie ein bisschen anschubsen, damit sie sich vorwärts bewegte, und forderte sie auf: »Setzt Euch dort hin, Esteban macht uns Platz.«
So fand sie sich plötzlich auf der Holzbank wieder, neben sich einen dunklen Gesellen, zu dessen Füßen ein struppiger großer Hund lag. Er begrüßte sie stockend und mit deutlichem Akzent, übergoss aber Aziza mit einem Wortschwall in einer fremden Sprache. Sie antwortete in derselben Sprache, lachte, neckte ihn dabei und erklärte Almut schließlich: »Esteban kommt aus Spanien, er handelt mit vielen Dingen, besonders gerne aber mit Reliquien.«
»Gibt es besondere Reliquien in Spanien?«, fragte Almut verwundert.
»O ja. Aber besonders schöne gibt es in Köln. Sind sehr begehrt. Die Jungfrauen der heiligen Ursula!«
Almut erfuhr eine ganze Menge über den Absatz heiliger Gebeine, denn Esteban liebte es zu erzählen. Langsam entspannte sie sich bei seinen Berichten und musterte jetzt auch die anderen Anwesenden. Es handelte sich überwiegend um jüngere Männer, meist gut gekleidet. Händler oder wohlhabende Handwerker, eine kleine Gruppe Scholaren, die heftig disputierten, vier oder fünf Männer, die zwar geckenhafte Kleidung trugen, aber an ihrer Tonsur als Mönche zu erkennen waren. Einige wenige Frauen waren auch darunter, von minder biederem Aussehen, doch nicht geschminkt wie die Dirnen und sittsam gewandet. Hökerinnen vielleicht oder Fischmengersche, möglicherweise auch Rheinschifferinnen. Zwei Mönche des Klosters brachten Kannen voll Wein zu den Gästen und füllten die Tonbecher auf den Tischen. Blinkende Münzen verschwanden dafür in den weiten Falten der Kutten. Auch Almut nippte an ihrem Wein und erschmeckte einen trinkbaren, doch mittelmäßigen Claret. Diesen Würzwein stellte Elsa in besserer Qualität her.
Aziza, die mit ihrem Nachbarn geplaudert und gelacht hatte, wandte sich wieder Almut zu und erkundigte sich: »Und, gibt es etwas, das Euch hier weiterhilft?«
»Nein. Es ist so laut, es sind so viele Menschen. Ich weiß gar nicht, wie ich annehmen konnte, hier etwas zu erfahren.«
»So mutlos? Wir sind noch nicht lange hier. Habt etwas Geduld, Schwester. Kann ich Euch eine Weile alleine hier
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