Der dunkle Thron
dreien. Er machte einen artigen Diener und beantwortete höflich die Fragen seines Vaters, aber es war unschwer zu erkennen, dass er sich vor dem schnaufenden Koloss mit der lauten Stimme fürchtete. Elizabeth hingegen hieß den König mit unkomplizierter Herzlichkeit willkommen. Mary näherte sich ihrem Vater mit würdevoller Höflichkeit. Nick wusste, die vorbehaltlose und unkritische Liebe, die sie einst für den König gehegt hatte und an der sie um ein Haar zerbrochen wäre, war einer weitaus gesünderen, distanzierten Toleranz gewichen. Was Mary bewog, ihm dennoch mit Wärme zu begegnen, waren Mitgefühl und ihr Verständnis von christlicher Barmherzigkeit. Und das war kein Wunder. Man musste den König nur anschauen, um zu wissen, dass seine Tage gezählt waren. Unwillkürlich wanderte Nicks Blick wieder zu dem schmächtigen fünfjährigen Thronfolger. Gott steh uns bei , dachte er.
Doch Henry war nicht zu krank und schwach, um die üblichen Gehässigkeiten zu ersinnen, die er stets für Nick bereithielt.
»Ah, Lord Waringham, sieh an.« Er saß seit mindestens einer halben Stunde in seinem Thronsessel, aber sein Atem glich immer noch dem ausgepumpten Keuchen eines Pferdes, das eine lange Strecke galoppiert war. »Suffolk berichtet mir, Ihr seid zu hasenfüßig, um mit uns in die Normandie zu ziehen.«
Nick tauschte einen unauffälligen Blick mit seinem Paten und bedankte sich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Suffolk antwortete mit einer ebenso verstohlenen Geste der Entschuldigung, die wohl bedeuten sollte, dergleichen habe er nie gesagt. Nick war keineswegs sicher, ob er das glauben sollte.
»Natürlich werde ich mit Euch ziehen, wenn Ihr es befehlt, Majestät«, stellte Nick klar.
»Aber nur dann?«, hakte der König lauernd nach.
»Ja. Nur dann.«
»Würde es Eurem Herzen vielleicht den fehlenden Mut verleihen, wenn ich Euch für sechs Monate im Feld das Marktrecht in Aussicht stellte, um das Ihr alle Jahre wieder bettelt?«
»Es besteht keine Veranlassung, mich zu ködern, Mylord, denn meine Loyalität ist nicht käuflich.«
»Das glaub ich gern. Ihr könnt nicht feilbieten, was Ihr nicht besitzt.«
Nick biss die Zähne zusammen und setzte alles daran, jeden Ausdruck aus seinem Gesicht fernzuhalten. »Gewiss nicht, Majestät. So wenig wie Ihr kaufen könnt, was England und der Krone längst gehört.«
»In dem Fall ist es schwer zu begreifen, was Euch abhält, für England und die Krone in den Krieg zu ziehen, Sir.«
»Mein Gewissen, Majestät, das, anders als meine Loyalität, nur mir allein gehört, weder England noch der Krone. Das hat Sir Thomas mich gelehrt.«
Der König schätzte es nicht sonderlich, an seinen enthaupteten Mentor, Ratgeber und Lord Chancellor erinnert zu werden, und sein gerötetes Gesicht nahm einen Purpurton an, der nichts Gutes zu verheißen schien. »Und Ihr entsinnt Euch doch gewiss noch, wohin seine Weisheiten ihn geführt haben?«
»Ins Paradies, nehme ich an.«
Henry ließ seine schinkengleichen Fäuste auf die Armlehnen niedersausen, und in der rechten zerbarst irgendetwas mit einem leisen Knacken. »Es sind immer die Feiglinge und Verräter, die sich hinter Frömmeleien und ihrem angeblich unbestechlichen Gewissen verstecken!«, brüllte der König, und kleine Speicheltropfen flogen von seinen Lippen. »Geht mir aus den Augen, Ihr treuloser Lump, eh ich mich vergesse und Euch …« Er verstummte so abrupt, dass Nick einen Moment lang glaubte, der Schlag habe den König getroffen. Aber weder fing er an zu röcheln, noch sank er in sich zusammen – im Gegenteil, die beängstigende Zornesröte wich von Hals und Wangen, und ein Lächeln malte sich auf den Lippen ab. Henry schien nicht nur schlagartig seinen Zorn auf Nick vergessen zu haben, sondern den Übeltäter gleich mit. Er starrte an Nicks Schulter vorbei, und in die kleinen Augen, die in dem feisten Gesicht kaum mehr zu finden waren, schlich sich ein ungewohnter Glanz.
»Charles … wer ist das?«, fragte der König träumerisch.
Suffolk trat einen Schritt näher, beugte sich zu ihm hinunter und antwortete gedämpft: »Das ist die neue Hofdame Eurer Tochter, Majestät. Katherine Parr, Lady Latimer.«
»Stell sie mir vor«, bat Henry, aufgeregt wie ein Schuljunge, und seine Pranke scheuchte Nick achtlos beiseite.
Erleichtert verließ Nick die Estrade, suchte sich ein unauffälliges Plätzchen im Schatten der Galerie an der Wand und gab sich Mühe, mit der Holztäfelung zu verschmelzen.
»Du
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