Der dunkle Thron
und Landwirtschaftsprodukten zusammensetzte. Die Profite des Gestüts waren früher noch hinzugekommen. Eigentlich hätte er also ein wohlhabender Mann sein müssen, doch stattdessen war er bettelarm: Die schlechten Ernten der letzten Jahre hatten die Pachteinnahmen geschmälert. Sein Vater hatte Nathaniel Durham kein Land verkauft, wusste Nick inzwischen, sondern hatte es beliehen, und zwar schon seit Jahren. Für den Kredit mussten Zinsen gezahlt werden, wenn das Land nicht endgültig verloren gehen sollte. Gott allein mochte wissen, um welche Summen sein Vater sich von den Bauern, dem schlitzohrigen Reeve und von Nathaniel Durham hatte betrügen lassen. Nick hatte die Wintervorräte für seinen kleinen Haushalt aus den für den Verkauf bestimmten Beständen der in Naturalien gezahlten Pachten abgezweigt, sodass er und sein Gesinde nicht würden hungern müssen, doch besaß er überhaupt kein Bargeld. Dabei brauchte er dringend welches für seine drei wichtigsten Projekte: Die Instandsetzung des Bergfrieds, die Wiederbelebung des Gestüts und Lauras Mitgift. Doch er wusste überhaupt nicht, über welche Mittel Waringham verfügte, denn Sumpfhexe saß auf den Einnahmen aus der diesjährigen Pachtabrechnung wie eine Ente auf ihrem Gelege. Und so, erkannte Nick, konnte es nicht bleiben.
Es war der Sonntag nach Allerheiligen, und das strahlende Herbstwetter, das bis letzte Woche gehalten hatte, war grauem Novemberniesel gewichen. Wie jeden Sonntag war Nick seiner Stiefmutter und -schwester beim Kirchgang begegnet, wie jeden Sonntag hatten sie ein kühles Nicken getauscht und sonst nichts. Lady Yolanda hatte es aufgegeben, Nick für seinen Umzug in den Bergfried zu schelten oder zu verhöhnen und ignorierte ihn weitgehend, wofür er dankbar war. An drei, vier Nachmittagen in der Woche ging er hinüber und unterrichtete seinen Bruder, aber schon fühlte er sich wie ein Fremder in dem Haus, wo er das Licht der Welt erblickt hatte, und meistens verließ er es wieder, ohne Yolanda oder Louise zu begegnen. Doch er wusste im Grunde schon lange, dass er einer Auseinandersetzung mit seiner Stiefmutter über Waringhams wirtschaftliche Zukunft auf Dauer nicht aus dem Wege gehen konnte, und seufzend gestand er sich ein, dass das morgen nicht leichter sein würde als heute. Und die Angelegenheit duldete eigentlich keinen weiteren Aufschub.
Er überquerte den Burghof, betrat das Wohnhaus, empfand für einen Moment einen Hauch von Neid ob der trockenen Wärme, die ihm schon am Eingang entgegenschlug, und stieg die vornehm knarrende Holztreppe zur Halle hinauf. An der Tür begegnete ihm sein Bruder, der ein etwa gleichaltriges kleines Mädchen mit blonden Engelslocken an der Hand führte.
»Nanu?« Nick blieb stehen und lächelte auf die beiden Kinder hinab. »Wir haben Besuch?«
»Das ist unsere Cousine Katherine«, stellte Ray stolz vor. »Katherine Howard.«
Deine Cousine, dachte Nick, nicht meine. Aber er verneigte sich formvollendet vor der Kleinen. »Eine Ehre, Lady Katherine.«
Sie schlug scheu die großen wasserblauen Augen nieder und knickste.
Besitzergreifend nahm Ray sie wieder bei der Hand und führte sie in die Halle. Nick folgte ihnen. Sumpfhexe und Brechnuss saßen mit einem fremden Mann an der Tafel und waren anscheinend in ein angeregtes Gespräch vertieft gewesen, das jedoch abrupt verstummte, als Nick und die Kinder eintraten.
Nick verneigte sich sparsam vor seiner Stiefmutter. »Madam.«
Sie lächelte frostig. »Nicholas. Dies ist mein Bruder, Edmund Howard.«
Nicht »Bruder Norfolk«, wusste Nick aus Sumpfhexes endlosen Vorträgen über ihren weit verzweigten Stammbaum, sondern ein jüngerer Spross der Familie. Edmund Howard hatte die gleichen dunklen Augen und die schmale Nase wie seine Schwester und weckte in Nick auf Anhieb die gleiche Antipathie, weil er auf dem Platz saß, der früher Lord Waringham gehört hatte. Dennoch gelang es Nick, dem Gast das erforderliche Mindestmaß an Höflichkeit entgegenzubringen. »Willkommen, Sir Edmund.«
Der betrachtete ihn mit diesem starren Blick verhaltenen Widerwillens, den auch seine Schwester so grandios beherrschte. »Waringham.«
»Was verschafft uns die seltene Ehre deines Besuchs?«, fragte Lady Yolanda.
Nick rang sich ein Lächeln ab und schüttelte den Kopf. »Ich wollte etwas mit Euch besprechen, aber das hat Zeit.«
»Nick, darf ich mit Katherine ins Gestüt und ihr die Fohlen zeigen?«, fragte Ray eifrig. Offenbar hatte seine kleine Cousine es ihm
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