Der Dunkle Turm 3 - Tot
zu Oy.
Ommt! stimmte Oy zu.
Und plötzlich raste eine gewaltige, zwei Räder lange rosa Gestalt über die Ebene auf sie zu. Sie war flach und patronenförmig, und als Jake sie sah, erfüllte schreckliche Angst sein Herz. Die beiden großen Fenster vorne, die in der Sonne blitzten, sahen wie Augen aus.
Laß ihn in Ruh; er hat genug von deinen dummen Fragen, sagte Jake zu Oy. Er ist nur ein gräßlicher Tschuff-tschuff-Zug, und sein Name ist Blaine, die Pein.
Plötzlich sprang Oy auf die Schienen und kauerte dort mit angelegten Ohren. Seine goldenen Augen blitzten. Die Zähne hatte er zu einem verzweifelten Fauchen gefletscht.
Nein! schrie Jake. Nein, Oy!
Aber Oy schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Das rosa Projektil raste auf die winzige, trotzige Gestalt des Billy-Bumblers zu, und das Summen schien über Jakes Haut zu kriechen, bis ihm die Nase blutete und die Plomben in seinen Zähnen vibrierten.
Er sprang zu Oy. Blaine, der Mono (oder war es Charlie Tschuff-Tschuff?), raste auf sie zu, und Jake erwachte plötzlich zitternd und schweißgebadet. Die Nacht schien wie ein stoffliches Gewicht auf ihm zu lasten. Er streckte die Hand aus und tastete panisch nach Oy. Einen schrecklichen Augenblick glaubte er, der Bumbler wäre fort, dann berührten seine Finger das seidige Fell. Oy gab ein Fiepen von sich und sah ihn voll verschlafener Neugier an.
»Schon gut«, flüsterte Jake mit trockener Stimme. »Da ist kein Zug. Es war nur ein Alptraum. Geh wieder schlafen, Boy.«
»Oy«, stimmte der Bumbler zu und schloß die Augen wieder.
Jake drehte sich auf den Rücken und sah wieder zu den Sternen hinauf. Blaine ist mehr als eine Pein, dachte er. Er ist gefährlich. Sehr gefährlich.
Ja, vielleicht.
Kein vielleicht! beharrte sein Verstand hektisch.
Na gut, Blaine war eine Pein – zugegeben. Aber in seinem Abschlußaufsatz hatte noch etwas anderes zum Thema Blaine gestanden, oder nicht?
Blaine ist die Wahrheit. Blaine ist die Wahrheit. Blaine ist die Wahrheit.
»O herrje, was für ein Schlamassel«, flüsterte Jake. Er machte die Augen zu und war innerhalb von Sekunden wieder eingeschlafen. Diesmal schlief er traumlos.
17
Gegen Mittag des nächsten Tages kamen sie zur Kuppe eines weiteren Walls und sahen die Brücke zum erstenmal. Sie überspannte den Send an einer Stelle, wo der Fluß schmaler wurde, sich nach Süden erstreckte und an der Stadt vorbeifloß.
»Heiliger Jesus«, sagte Eddie leise. »Kommt dir das bekannt vor, Suze?«
»Ja.«
»Jake?«
»Ja – sieht aus wie die George-Washington-Brücke.«
»Total«, stimmte Eddie zu.
»Aber was macht die GWB in Missouri?« fragte Jake.
Eddie sah ihn an. »Was hast du gesagt, Sportsfreund?«
Jake sah verwirrt drein. »Ich meine Mittwelt. Du weißt schon.«
Eddie sah ihn durchdringender denn je an. »Woher weißt du, daß dies hier Mittwelt ist? Du warst nicht bei uns, als wir den Wegstein gefunden haben.«
Jake stopfte die Hände in die Hosentaschen und sah auf seine Mokassins. »Ich hab’s geträumt«, sagte er knapp. »Du glaubst doch nicht, daß ich diese Reise im Reisebüro meines Vaters gebucht habe, oder?«
Roland berührte Eddie an der Schulter. »Belaß es vorerst dabei.« Eddie sah Roland kurz an und nickte.
Sie blieben noch eine Weile stehen und betrachteten die Brücke. Sie hatten Zeit gehabt, sich an die Silhouette der Stadt zu gewöhnen, aber dies war etwas anderes. Die Brücke träumte in der Ferne, ein vager Umriß, der ins Blau des Vormittagshimmels geätzt war. Roland konnte vier Paar unvorstellbar hoher Türme aus Metall erkennen – eines an jedem Ende der Brücke, zwei in der Mitte –, die mit dicken Kabeln verbunden waren. Zwischen diesen und dem Ansatz der Brücke verliefen viele vertikale Linien – entweder mehr Kabel oder Metallstreben, das konnte er nicht sagen. Aber er sah auch Lücken und stellte nach längerem Hinsehen fest, daß die Brücke nicht mehr völlig eben war.
»Ich glaube, diese Brücke wird bald in den Fluß stürzen«, sagte Roland.
»Nun, vielleicht«, meinte Eddie widerwillig, »aber ich finde, so schlimm sieht sie gar nicht aus.«
Roland seufzte. »Mach dir nicht zu viele Hoffnungen, Eddie.«
»Was soll das heißen?« Eddie hörte, wie gereizt seine Stimme klang, aber nun war es zu spät, das zu ändern.
»Es heißt, ich möchte, daß du deinen Augen traust, Eddie – das ist alles. Als ich aufwuchs, gab es ein Sprichwort: ›Nur ein Narr glaubt, daß er träumt, bevor er aufwacht.‹
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