Der Dunkle Turm 3 - Tot
Entschuldigung – wollte nur vorbei.
»Verdammtes, blödes Vieh«, sagte Eddie mit zusammengebissenen Zähnen.
Er stellte fest, daß er zwar eine Abneigung dagegen hatte, nach unten zu sehen, aber noch mehr Unbehagen bereitete es ihm, wenn er die Halterungen betrachtete, welche das Deck und die Kabel oben zusammenhielten. Sie waren durchgerostet, und Eddie konnte Metallfädchen aus den meisten herausragen sehen; diese Fädchen sahen wie stählerne Baumwollbüschel aus. Er wußte von seinem Onkel Reg, der als Anstreicher an der George-Washington- und den Triborough-Brücken gearbeitet hatte, daß die Halterungen und Kabel aus Tausenden von Stahlfäden »gesponnen« waren. An dieser Brücke löste sich das Gesponnene langsam auf. Die Aufhängung zerfaserte buchstäblich, und dabei rissen die Stränge – ein Faden nach dem anderen.
Sie hat so lange gehalten, dann wird sie auch noch etwas länger halten. Glaubst du, dieses Ding wird in den Fluß stürzen, nur weil du es überquerst? Übertreib nicht so schamlos!
Aber das tröstete ihn nicht. Es wäre durchaus möglich, daß sie die ersten Menschen seit Jahrzehnten waren, die eine Überquerung versuchten. Und irgendwann mußte die Brücke ja einmal einstürzen, und wie es aussah, würde das bald geschehen. Ihr Gewicht zusammengenommen konnte der Tropfen sein, der das Faß zum Überlaufen brachte.
Er stieß mit dem Mokassin gegen einen Betonbrocken, mußte hilflos und außerstande, sich abzuwenden, mit ansehen, wie es immer weiter und weiter und weiter nach unten fiel und sich dabei drehte. Ein leises – sehr leises – Platschen war zu hören, als es in den Fluß stürzte. Der frische Wind schwoll an und drückte ihm das Hemd gegen die schweißnasse Haut. Die Brücke stöhnte und schwankte. Eddie versuchte, die Hand vom Geländer zu nehmen, aber sie schien förmlich an dem Metall festgefroren zu sein.
Er machte einen Moment die Augen zu. Du wirst nicht starr vor Angst werden. Du nicht. Ich… ich verbiete es dir. Wenn du etwas ansehen mußt, dann nimm den Langen, Großen, Häßlichen. Eddie schlug die Augen wieder auf, sah starr auf den Revolvermann, zwang sich, den Griff seiner Hand zu lösen und setzte sich wieder in Bewegung.
11
Roland kam zu der Lücke und drehte sich um. Jake war fünf Schritte hinter ihm. Oy folgte ihm auf den Fersen. Der Bumbler ging geduckt und hatte den Hals gestreckt. Über dem Fluß war der Wind viel stärker, und Roland konnte sehen, wie er Oys seidiges Fell zerzauste. Eddie kam etwa sechs Meter hinter Jake. Sein Gesicht war verkniffen, aber er schlurfte nach wie vor grimmig dahin und trug Susannahs Rollstuhl in der linken Hand. Mit der rechten Hand umklammerte er das Geländer, als hinge sein Leben davon ab.
»Susannah?«
»Ja«, antwortete sie sofort. »Alles in Ordnung.«
»Jake?«
Jake sah auf. Er grinste immer noch, und der Revolvermann sah, daß es mit ihm keine Probleme geben würde. Der Junge erlebte das Abenteuer seines Lebens. Das Haar wurde ihm in Strähnen aus der fein geschnittenen Stirn geweht, seine Augen strahlten. Er deutete mit dem Daumen nach oben. Roland lächelte und erwiderte die Geste.
»Eddie.«
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen.«
Eddie schien Roland anzusehen, aber der Revolvermann hatte den Eindruck, als würde er in Wirklichkeit an ihm vorbei zu den fensterlosen Backsteingebäuden sehen, die das Ufer am anderen Ende der Brücke säumten. Das war in Ordnung; wenn man seine offensichtliche Höhenangst berücksichtigte, war es wahrscheinlich das Beste, was er machen konnte, damit er nicht den Kopf verlor.
»Nein«, murmelte Roland. »Wir überqueren jetzt das Loch, Susannah. Keine hastigen Bewegungen. Verstanden?«
»Ja.«
»Wenn du dich anders hinsetzen möchtest, tu es jetzt.«
»Mir geht es bestens, Roland«, sagte sie ruhig. »Ich hoffe nur, Eddie kommt zurecht.«
»Eddie ist jetzt ein Revolvermann. Er wird sich auch wie einer benehmen.«
Roland drehte sich nach rechts, so daß er flußabwärts sah, und umklammerte das Geländer. Dann kletterte er über das Loch hinaus und schlurfte mit den Füßen auf dem rostigen Kabel entlang.
12
Jake wartete, bis Roland und Susannah den größten Teil der Lücke überquert hatten, dann setzte er sich selbst in Bewegung. Der Wind wehte böig, und die Brücke schwankte hin und her, aber er hatte überhaupt keine Angst. Er war sogar völlig aufgedreht. Im Gegensatz zu Eddie hatte er nie Höhenangst gehabt; es gefiel ihm hier
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