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Der Dunkle Turm 3 - Tot

Titel: Der Dunkle Turm 3 - Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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geschlungen trug. Seine Stimme war kalt… aber nicht ohne Trost.
    Nein, Jake, sagte Roland. Du bist nicht verrückt. Du bist verirrt und ängstlich, aber du bist nicht verrückt und mußt weder vor dem Schatten am Morgen Angst haben, der dir nachfolgt, noch vor dem Schatten am Abend, der dir begegnet. Du mußt nur den Weg nach Hause finden, das ist alles.
    »Aber wohin soll ich gehen?« flüsterte Jake. Er stand auf dem Gehweg der Fifty-sixth Street zwischen Park und Madison und beobachtete den Verkehr, der vorbeiraste. Ein städtischer Bus schnarchte vorüber und zog eine dünne Spur beißenden blauen Dieselqualms hinter sich her. »Wohin soll ich gehen? Wo ist diese Scheißtür!«
    Aber die Stimme des Revolvermanns war verstummt.
    Jake wandte sich nach links in Richtung East River und ging blindlings los. Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte – überhaupt keine Ahnung. Er konnte nur hoffen, daß seine Füße ihn zum richtigen Ort bringen würden… so wie sie ihn vor gar nicht allzu langer Zeit einmal zum falschen getragen hatten.
     
     
    5
     
    Es war vor drei Wochen geschehen.
    Man konnte nicht sagen: Es hatte vor drei Wochen angefangen, denn das vermittelte den Eindruck eines gewissen Fortschritts, aber gerade das war nicht der Fall. Nur die Stimmen hatten einen Fortschritt erlebt, sie beharrten zunehmend brutaler auf ihrer jeweiligen Version der Realität, aber der ganze Rest war auf einmal geschehen.
    Er hatte das Haus um acht Uhr verlassen, um zu Fuß zur Schule zu gehen – er ging immer zu Fuß, wenn das Wetter schön war, und diesen Mai war das Wetter absolut herrlich. Sein Vater war zum Sender gegangen, seine Mutter lag noch im Bett, und Mrs. Greta Shaw war in der Küche, wo sie Kaffee trank und die New York Post las.
    »Auf Wiedersehen, Greta«, sagte er. »Ich gehe jetzt zur Schule.«
    Sie hob eine Hand und winkte, ohne von der Zeitung aufzusehen. »Schönen Tag, Johnny.«
    Alles Routine. Ein Tag im Leben.
    Und so war es die nächsten fünfzehnhundert Sekunden geblieben. Und dann hatte sich alles für immer verändert.
    Er schlenderte mit dem Schulranzen in einer und dem Vesperkoffer in der anderen Hand dahin und sah in die Schaufenster. Siebenhundertundzwanzig Sekunden vom Ende seines Lebens, wie er es immer gekannt hatte, entfernt, blieb er stehen und sah ins Schaufenster von Brendio’s, wo die Kleiderpuppen steif in Posen der Konversation verharrten. Er dachte nur daran, daß er heute nachmittag nach der Schule zum Bowling gehen würde. Sein Durchschnitt lag bei 158, das war toll für einen elfjährigen Jungen. Er hatte den Ehrgeiz, eines Tages Profibowler zu werden (und wenn sein Vater dieses kleine Tatsächelchen gewußt hätte, wäre er zweifellos an die Decke gegangen).
    Er kam jetzt näher – unerbittlich näher: der Augenblick, da seine geistige Gesundheit plötzlich ausgelöscht werden würde.
    Er überquerte die Forty-ninth, und es blieben noch vierhundert Sekunden. An der Forty-first mußte er darauf warten, daß die Fußgängerampel grün wurde, und da waren es noch zweihundertsiebzig. Er verweilte und sah in den Scherzartikelladen Ecke Fifth und Forty-second, und da waren es noch hundertneunzig. Und jetzt, da sein gewöhnliches Leben gerade noch etwas mehr als drei Minuten dauerte, trat Jake Chambers unter einen unsichtbaren Schirm der Kraft, die Roland Ka-tet nannte.
    Ein seltsam unbehagliches Gefühl überkam ihn. Zuerst dachte er, es wäre das Gefühl, beobachtet zu werden, aber dann wurde ihm klar, daß das nicht alles war… oder nicht genau das. Ihm war, als wäre er schon einmal hier gewesen, als würde er einen Traum durchleben, den er größtenteils vergessen gehabt hatte. Er wartete darauf, daß das Gefühl vorübergehen würde, aber es blieb. Es wurde stärker, und dann gesellte sich eine zweite Empfindung dazu, die er widerwillig als Angst anerkannte.
    Vorne, nahe der Ecke Fifth und Forty-third, stellte ein schwarzer Mann mit Panamahut einen Brezel- und Limonadewagen auf.
    Er ist derjenige, der ruft: ›O mein Gott, er ist tot!‹ dachte Jake.
    Eine dicke Frau mit einer Tasche von Bloomingdales in der Hand nähert sich der gegenüberliegenden Ecke.
    Sie wird die Tasche fallen lassen. Die Tasche fallen lassen und die Hände vors Gesicht schlagen und schreien. Die Tasche wird aufplatzen. In der Tasche ist eine Puppe. Sie ist in ein rotes Handtuch eingewickelt. Das werde ich von der Straße aus sehen. Auf der Straße, wo ich liegen werde, während Blut meine Hose

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