Der Effekt - Roman
Wagens liegen gelassen hatte, und stopfte Handy, GPS, iPod und Portemonnaie hinein. Dann machte sie sich auf den Weg in den Park. In der Tasche fand sie eine Serviette mit McDonald’s-Schriftzug - »Sie sollten sich wirklich schämen, Mademoiselle, wo treiben Sie sich denn herum?« - und wischte sich damit das Blut von Gesicht und Händen. Im Park war es nachts besonders schön, genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Kleine weiße Laternen standen unter hohen Bäumen, die mit den ersten Knospen des Frühlings bedeckt waren. Sie schaute kurz auf das GPS und versuchte sich zu orientieren. Der Bildschirm kam ihr
viel zu grell vor. Sie stellte ihn dunkler, damit ihre Sicht in der Nacht nicht zu sehr beeinträchtigt wurde. Jetzt hatte sie endlich genug Zeit, um sich innerlich ein Bild von ihrer Position in der Stadt zu machen. Für sie bestand Paris aus einer Ansammlung von Schlupflöchern, sicheren Häusern, Fluchtwegen, Todesfallen, Kampfzonen, freundlichen und feindlichen Orten und natürlich jeder Menge Erinnerungen an verdeckte Aktionen, geheime Treffen und ausgeführte Mordaufträge. Vor allem jede Menge Mordaufträge.
In der Rue de la Sablière im angrenzenden Arrondissement gab es eine Wohnung, die sie benutzen konnte, aber die lag eine gute Stunde Fußweg entfernt, vielleicht sogar weiter, und Caitlin wollte in ihrem Zustand nicht so lange zu Fuß unterwegs sein. Als das bezeichnete sie innerlich jetzt ihren Tumor: meinen Zustand. Das Beste wäre, ein weiteres Auto zu stehlen.
Sie hörte, wie eine Wagentür hinter ihr zugeschlagen wurde und Stiefelschritte näher kamen. Monique rannte hinter ihr her.
»Warte doch auf mich. Ich hab Angst.«
»Alle haben Angst«, sagte Caitlin, als die Französin bei ihr angekommen war. »Der Trick ist, dass man trotzdem tut, was nötig ist. Komm jetzt.«
Sie überquerten eine freie Fläche, auf der im Sommer ein Open-Air-Kino aufgebaut wurde, in dem nur französische Filme, bevorzugt solche, die in der unmittelbaren Umgebung spielten, gezeigt wurden. Und uns werfen sie Isolationismus vor, dachte sie, bevor ihr schlagartig klarwurde, dass es dieses »Wir« gar nicht mehr gab. Dieser Teil der Stadt war relativ ruhig, aber vom Zentrum her waren noch immer zahlreiche Sirenen zu hören. Und auch aus der Banlieue, dem Vorstadtgürtel von Paris, wo Generationen von Einwanderern aus Nordafrika und dem Nahen Osten in den Sozialwohnungssilos ihre eigenen
Bastionen errichtet hatten. Caitlin kannte sich dort aus, sie hatte in gefährlichen Slumgegenden wie Clichy-sous-Bois genauso zu tun gehabt wie in der prächtigen Pariser Innenstadt mit berühmten Sehenswürdigkeiten wie Montmartre und dem Louvre und der Avenue Montaigne.
»Glaubst du, dass alles gut werden wird?«, fragte Monique leise mit piepsiger Stimme.
Caitlin blieb abrupt stehen. Weiter vor ihnen, etwa auf halbem Weg durch den Park, standen zwei Personen, die sich von den sonstigen umherspazierenden Liebespaaren unterschieden. Sie schienen angespannt zu sein und unterhielten sich zu laut und zu aufgeregt für diese Umgebung.
»Nein, Monique, es wird nicht alles gut werden.«
Sie warf ihrer Begleiterin einen scharfen Blick zu, stemmte die Hände in die Hüften und biss die Zähne zusammen. Ein kalter, stechender Schmerz, der von nirgendwo her zu kommen schien, durchzuckte ihren Kopf dicht hinter dem Auge.
»Pass. Auf. Was. Passiert, Herzchen. Jemand will mich fertigmachen, und du gehörst zu mir. Heute sind Hunderte Millionen von Menschen verschwunden. Auch wichtige Leute. Die Garanten des Friedens. Sogar wenn sie alle morgen wieder zurückgebeamt würden, wäre die Welt nicht mehr die Gleiche wie vorher. Die ganze Welt zerfällt. Eure schöne Hauptstadt hier geht den Bach runter. Was glaubst du wohl, was noch alles kommt? Eine Feier mit Champagner, weil alle sich freuen, dass Rive Gauche wieder zum Nabel der Welt wurde? Wollt ihr allesamt morgen früh aufwachen und euch gratulieren, dass die fettärschigen Amerikaner mit ihren beschissenen Filmen und ihrem ekelhaften Fastfood und ihrer ganzen Gewalt vom Erdboden verschwunden sind und ihr euch nicht mehr damit herumplagen müsst? Denkst du das? Hm?«
Sie war mit jeder Frage lauter geworden, und am Ende ereiferte sie sich mehr, als sie wollte, aber sie konnte sich
nicht mehr beherrschen. Monique duckte sich angesichts dieses Wortschwalls, schrumpfte geradezu zusammen, senkte den Blick und sah nun aus wie ein kleines Kind, das von einem brüllenden Erwachsenen zu Tode
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