Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
einer anderen Wohnung, sagt er, ohne Fil zu erwähnen, weil er denkt, dass das eigenartig klingen würde, ich wohne jetzt bei meinem Vater , sie würde ihn für unselbständig halten, Mitte zwanzig und immer noch bei den Eltern, oder sich an Fils Krankheit erinnern, Fibrose, Organtransplantation, Tod, und so fragt er nur, ob sie vorbeikommen wolle, er könne etwas kochen, sei zwar kein begnadeter Koch, aber irgendetwas werde er schon zusammenzaubern , zusammenzaubern, denkt er, seltsames Wort, und zu seiner Überraschung erwidert sie ja, sagt sie sofort:
Klar, ja, gern, wann?
Zum Beispiel jetzt.
Jetzt zum Beispiel sofort?
Zum Beispiel.
Jetzt zum Beispiel sofort, sagt sie lachend, könne sie nicht. Aber später.
Später um acht?
Später um acht sei gut .
Was sie gern esse, fragt er.
Was er denn zaubern könne, erwidert sie.
Pasta mit Lachssoße könne er ganz gut.
Das Rezept hat er aus dem Internet. Ob die mediterrane Küche tatsächlich Lachssoße kennt, konnte zwar nicht abschließend geklärt werden, doch Steffen fand, dass das Gericht gastronomischen Mindeststandards genüge.
Pasta mit Lachssoße klinge sehr gut, erwidert die Frau, sagt Nina-Charlotte-Sarah, den Namen weiß er immer noch nicht, fröhlich.
Und Daniel fragt sich, ob er gerade eine Dummheit begangen hat, fragt sich, wo diese plötzliche Energie hinführt; dann aber auch: fröhlich , das kann er gut brauchen.
Ein paar Stunden später ist sie bei ihm, sitzt ihm gegenüber am Esstisch, und er wundert sich über sich selbst: den Umzug, den Anruf, ihren Besuch. Fragt sich, ob das schon der Einfluss des Vaters ist.
Dass er ein richtig guter Koch sei, sagt sie und wischt sich den Mund ab, und er antwortet, dass sein Mitbewohner ihn immer als kulinarischen Banausen beschimpft habe.
Seitdem koche er öfter nach Kochbuch.
Sie fragt nach dem Mitbewohner, und er erklärt, dass Steffen noch nicht eingezogen sei, es sich sozusagen um ein Einweihungsessen handele, und sie fühlt sich geschmeichelt.
Welche Ehre.
Die Ehre ist seinerseits.
Sie lacht. Und wieder lacht sie.
Charlotte-Sarah-Nina trägt helle Jeans, ein blaues T-Shirt mit V-Ausschnitt und sieht ein bisschen grauer aus als vor knapp zwei Wochen. In ihrem Gesicht wechseln sich rote und blasse, zu stark und zu schwach durchblutete Stellen ab. Auch ihre Nase wirkt auf einmal zu groß. Keine ausgesprochene Schönheit, denkt Daniel, aber ihr Lachen gefällt ihm und mehr noch als das Lachen ihre Stimme.
Sag was.
Was soll ich sagen?
Irgendwas, ich mag deine Stimme … Deine Stimme ist toll.
Nur ihre Stimme?
Nein, natürlich nicht nur die Stimme.
Sie erzählt, dass sie als Jugendliche einen Unfall hatte, ihnen jemand reingefahren sei, sie hinten gesessen habe und schwer verletzt worden sei. Drei Operationen hätten die Ärzte gebraucht, um sie wieder zusammenzuflicken, drei Operationen, aber die Stimmbänder hätten sie nicht mehr richtig hingekriegt.
Daniel lacht; lacht gedankenlos auf, sagt, dass die plastische Chirurgie das öfter anbieten sollte: Stimmbänder rauchiger machen, legen Sie sich eine sexy Stimme zu, sagt er, klingen Sie verführerisch, doch die Frau zieht nur die Augenbrauen hoch, und erst jetzt merkt er, dass er sie verletzt haben könnte, dieser Unfall, diese Operation sie auch nach Jahren noch belastet. Er verstummt, lächelt verlegen, lehnt sich zurück – den Rücken gegen die IKEA -Lehne Kaliningrader Produktion gepresst, den Körper gekrümmt.
Eine Weile schweigen sie.
Wie lange war sie im Krankenhaus?
Drei Monate, antwortet sie, es klingt düster, sie habe am ganzen Körper Narben. Doch dann hellt sich ihr Gesicht unerwartet schnell wieder auf. Als sie wieder in die Schule gekommen sei, hätten sich die Jungs über ihre neue Stimme lustig gemacht, höhöhö, Oberförster Sarah ist wieder da, höhöhö , doch mit der Zeit habe sich herausgestellt, dass sie die Stimme eigentlich gut fanden.
Sarah – sie heißt Sarah. Endlich weiß er es.
Einfach gestrickte Typen, fügt sie hinzu.
Einfach gestrickte Typen, so wie ich, denkt Daniel.
Sie erzählt, dass sie im Krankenhaus Dutzende französische Filme geschaut habe, Noirs , alte Krimis mit Jean Gabin; sagt, dass sie eine Schwäche für Noirs habe .
Er kennt keine Noirs, nur ein oder zwei Delon-Krimis aus dem Fernsehen; dafür, dass er Französisch studiert, weiß er wenig über französische Kultur, eigentlich kann er kaum sagen, warum er Französisch studiert, er hat mit Lehramt nur angefangen, weil er
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