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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Germanistenspielwiese, geht ihm durch den Kopf, das Steckenpferd von Akademikern, aber nichts fällt heraus, kein Zeitungsausschnitt, keine handschriftliche Notiz, kein Brief, nichts, was einen Zusammenhang herstellen würde zwischen diesen Bänden und dem Vater, der, zum Maschinenkörper degradiert, auf der Intensivstation liegt.
    Daniel blättert die Bücher durch, stellt fest, dass sie aus Rumänien stammen, ein paar noch in der Volksrepublik Rumänien verlegt worden sind, in einem steht eine kaum leserliche Widmung, eine Widmung, aber nicht für Fil, das Jahr 1980, fünf Jahre vor Daniels Geburt. Er lässt das Buch auf den Schreibtisch fallen, die Glasplatte klingt hell nach, und wundert sich; seltsam, dass er auch hiervon nichts weiß, ihm auch das völlig unbekannt ist. Hat der Vater ein Geheimnis um sein Leben gemacht, oder war Daniel nur einfach, so wie es der Vater ihm immer wieder vorgeworfen hat, eure ganze Generation ist ja ein bisschen begriffsfaul , desinteressiert? Irritiert wandert sein Blick zwischen Rechenmaschine, Klarsichtfolien, Bleistiftspitzer, einer Zeitschrift, auf deren Titelseite »Sturm auf den G8« zu lesen ist, hin und her, und er hat das Gefühl, sich dieser Aufgabe stellen, eine Antwort finden zu müssen, eine Antwort auf eine Frage, die er noch gar nicht formuliert hat. Der Fisch, denkt Daniel kurz, vielleicht war er zu alt, vielleicht war er verdorben, und ich bin deshalb so durcheinander, weil ich alten Fisch gegessen habe, er war schlecht, ich werde krank.
    In diesem Moment tritt Sarah ins Zimmer, sie hat ein zu großes Herrenoberhemd an, das sie aus Fils Schrank genommen haben muss, und hält es mit einer Hand vorne zusammen. Darunter, denkt Daniel, ist sie nackt.
    Was machst du? fragt sie. Ihr Gesicht sieht noch schlechter durchblutet aus als am Vortag.
    Nichts weiter, entgegnet er, ich schaue nur die Sachen meines Vaters durch.
    Seines Vaters. Am Vorabend hat er vermieden, Fil zu erwähnen.
    Doch die Frau geht nicht auf die Bemerkung ein, ihr fällt der Widerspruch nicht auf, sie ist vielleicht noch zu verschlafen, um an den kranken Vater zu denken.
    Ob er schon gefrühstückt hat.
    Er schüttelt den Kopf, sie sagt, dass sie zwar bald los müsse, aber davor noch Kaffee aufsetzen könne. Kaffee wolle er doch auch?
    Er nickt.
    Sie ist nackt, denkt er, unter dem Hemd ist sie nackt, sie trägt keinen BH , ihre Brüste hängen ein wenig herunter.
    Sie dreht sich um und tappt in die Küche.
    Daniel merkt, dass ihm der Kopf brummt, denkt wieder, dass die Kopfschmerzen vom Fisch stammen könnten, von einer Lebensmittelvergiftung. Oder hat er zu viel getrunken, wie viel haben sie am Vorabend eigentlich getrunken?
    Leicht verstört wendet er sich wieder Fils Sachen zu, zieht die Schreibtischschubladen auf, blickt in Umschläge hinein. Durch das Fenster fällt ein grelles Licht, das an einen Suchscheinwerfer erinnert: eine scharfe weiße Scheibe. Suchscheinwerfer : Wer versucht zu fliehen, wer wird gesucht?
    Als Sarah wieder ins Zimmer tritt, hat sie etwas mehr Farbe im Gesicht, ist sie wahrscheinlich geschminkt.
    Der Kaffee steht in der Küche, sagt sie.
    Ob sie geht? Eher eine Feststellung als eine Frage.
    Sie nickt, sie muss noch lernen.
    Heute wird immer gelernt, denkt Daniel, gelernt oder Facebook-Seiten werden aktualisiert oder man surft im Internet oder arbeitet im Fitness-Center an sich, work out , damit man nicht alt wird, oder man hat ein schlechtes Gewissen, weil man nicht genug gelernt, nicht genug an sich gearbeitet hat.
    Sie winkt ihm durch den Raum zu und dreht sich um. Daniel folgt ihr langsam, etwas lustlos, Richtung Wohnungstür.
    Mein Vater, erklärt er, du weiß ja, er liegt im Krankenhaus. Ich muss noch paar Sachen für ihn klären.
    Sie nickt erneut, küsst ihn auf die Wange, unschuldig, als wäre diese Nacht nichts geschehen, und dann klackern ihre Schuhsohlen die Stufen hinunter. Auf dem ersten Treppenabsatz begegnen sich ihre Blicke noch einmal, Sarahs Miene ist nicht genau zu interpretieren: bedeutungslose Affäreoder Hoffnung auf mehr? Er hebt die Hand, kämpft mit dem Fisch.
 
    Nachdem sie gegangen ist, kehrt er an den Schreibtisch zurück, durchsucht weiter die Schubladen und stößt schließlich im untersten Fach auf einen Stapel Manila-Umschläge, die er systematisch zu leeren beginnt, als handele es sich um eine Ermittlung. Er lässt Rechnungen, Formulare, Handzettel durch die Finger gleiten und stößt schließlich auf ein Bild. Zwischen ein paar Fotos,

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