Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
schlafen.
Leise gleitet der von Schweigen, Schläfrigkeit, Dopamin-Ausschüttungen, Hunger erfüllte Mietwagen über den Asphalt, nur das surrende Motorengeräusch ist zu hören, nur das dünne Prasseln der Reifen auf dem Straßenbelag, und Daniel durchströmt Euphorie, das Gefühl, mit sich, dieser Frau im Reinen zu sein.
Das Haus, vor dem sie schließlich parken, liegt an einem Hang ganz in der Nähe des alten, mittlerweile stillgelegten Flughafens, des größten zusammenhängenden Gebäudes in Europa, der Vater hat Daniel als Kind einmal die Fassade gezeigt, den Adler auf dem Vorplatz, der kein Hakenkreuz mehr trug, aber früher getragen hatte; liegt in einem jener Straßenzüge, in denen man glauben könnte, man sei in Paris: Jugendstilfassaden, Parkanlagen, ein alter, ziegelfarbener Wasserturm. Die Frau steigt aus, greift nach ihrer Tasche, das Geräusch der Autoverriegelung mischt sich unter Vogelgezwitscher, und Daniel folgt ihr ins Haus, sie steigen die Treppe hinauf, und wieder hat er das Gefühl, in einem fremden Leben zu stecken,
wieder denkt er an das Buch,
Fils Buch,
das Buch, das im Krankenhaus neben dem Bett lag,
wurde mir fremd, gerade durch sein ausbleiben, man könnte fast sagen: durch seine abwehr oder seine abfuhr, wurde es zum eindringling, wurde zu meinem fremden, wurde es fremd gerade deshalb, weil es sich innen befand, denn von außen kann der fremde nur in dem maße kommen, indem er zunächst innen auftaucht.
Drinnen, im Haus, einem der wenigen unsanierten Mietshäuser der Gegend, in diesen Straßen sieht Berlin wie Paris aus, ist Berlin bald so teuer wie Paris, riecht es nach kalter Asche, und Dem erzählt, dass sie bei ihrer Tante wohne, derselben Verwandten, die gerade verreist sei, in deren Kiosk sie arbeite, und dass Daniel sich nicht wundern solle, sie grinst, aber er weiß nicht, ob aus Verlegenheit oder ironisch gemeint, die Wohnungseinrichtung der Tante sei etwas gewöhnungsbedürftig.
An der Wohnungstür im zweiten Stock, eine extrasystole wie das fallen eines kieselsteins in die tiefe eines brunnens , fällt Daniel ein, zückt Dem einen Schlüssel, sperrt die Tür auf, und er denkt sofort, dass sie recht hat, die Einrichtung ist mehr als gewöhnungsbedürftig: ein schwarzes Kunstledersofa, plüschrote Kissen, der Plasma-Bildschirm auf einem dunkel getönten Glastisch.
Ihre Tante stehe auf anatolischen Chic.
Warum auf anatolischen, fragt Daniel, warum nicht auf ägyptischen?
Weil sie anatolischen in Berlin wahrscheinlich leichter bekomme?
Dem zeigt Daniel das Bad, legt ein Handtuch heraus, tappt müde ins Schlafzimmer, während er mit einem Glas Saft in der Hand, einem Glas Orangensaft, noch einen Moment in der Küche stehenbleibt, aus dem Fenster in den Innenhof blickt, wo die Mülltonnen, saubere, nicht stinkende, anders als bei Beule ordentlich geschlossene Mülltonen stehen.
Es ist früher Morgen, die Sonne steht schon über der Stadt, aber die Straßen sind noch leer.
Als er der Frau, der fremden, vertrauten Frau, schließlich ins Schlafzimmer folgt, schläft sie bereits, hat sie sich in ihr Laken eingerollt wie eine Raupe in ihren Kokon, liegen ihre Haare aufgefächert auf dem glänzenden Kissenbezug, als wären es Blütenblätter.
Müde legt er sich zu ihr, sieht Licht durch die Vorhangritzen auf den Teppich fallen, den aufdringlich weinrot gehaltenen Teppich, sinkt in einen traumlosen Schlaf.
Beim Aufwachen hat er das Gefühl, eben erst eingeschlafen zu sein, doch der durchs offene Fenster hereindringende Verkehrslärm bezeugt, dass einige Stunden vergangen sein müssen. Er dreht sich zur Seite, stellt fest, dass der Platz neben ihm leer ist, und richtet sich auf. Das Schlafzimmer, das er vor ein paar Stunden kaum betrachtet hat, steht dem Rest der Wohnung in nichts nach: verspiegelte Schrankwand, Satin-Bettzeug, eine leopardengescheckte Tagesdecke. Nervös steht Daniel auf und geht den Gang zur Küche hinunter.
Nervös, weil er sich fragt, ob Dem wohl wortlos gegangen ist.
Er hat ein wenig Angst, aber anders als früher.
In der Küche stellt er sich wieder ans Fenster, von dem aus man den Hinterhof überblickt, den gepflegten Blumengarten, die sauberen Mülltonnen, und in diesem Moment kommt Dem aus dem Bad, ein Handtuch um den Nacken geschlagen, eine Bluse, schwarze Schuhe, saubere Jeans, womit sie wie eine andere Person aussieht, fremd, wie verkleidet. Ohne zu lächeln, ihn zu berühren, geht sie an
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