Der eine Kuss von dir
gemütliche Position finden, die Ohrstöpsel wieder rausnehmen, weil ich glaube, ein wildes Tier jaulen zu hören, ich werde pullern müssen und Angst haben, im Dunkeln hinter die Bäume zu gehen. So wird es kommen.
Aber als Matse jetzt wieder das Autoradio voll aufdreht und die Musik nach draußen dröhnt, bekomme ich Lust zu tanzen und kann mir plötzlich vorstellen, dass Campen auch große Party sein kann!
Wir hängen noch eine Weile auf dem Parkplatz rum, aber es ist beschlossene Sache, dass wir uns bald ein nettes Waldplätzchen suchen.
Linda ist im Bus weggenickt und Milo und ich können uns zusammen auf die Bank setzen und unauffällig zwischen unseren Beinen Händchen halten.
»Wenn das hier vorbei ist, lade ich dich zu mir nach Hause ein«, flüstert Milo und drückt meine Finger. »Dann koche ich etwas echt Gutes für dich und danach kann ich dir mein supergemütliches, weiches Bett zeigen und da nach …«
»… und danach sitze ich am Schnittprogramm und behandle meine Augenringe mit Gurkenscheiben«, grinse ich.
»Und dann kommst du wieder zurück zu mir?«, fragt er.
»Ja«, versichere ich und lächle voller Vorfreude. »Hast du mit Linda geredet?« Ich will es jetzt endlich wissen.
»Nein.«
»Oh, okay, ich dachte nur, weil ich den Eindruck hatte, dass …«
»Ich rede mit ihr. Bald.«
»Ja, ich weiß. Das hast du schon mal gesagt.« Ich sehe ihm in die Augen.
»Und ich mache es auch!«
»Cool.« Ich lächle ihm aufmunternd zu, obwohl das eigentlich seine Aufgabe sein müsste.
»Hey ihr zwei, wir wollen los!«, ruft Edgar zu uns rüber, und wir lassen schnell unsere Hände los, laufen zurück zu den anderen und tun so, als würden wir uns über den Dokumentarfilm unterhalten.
Als wir dann im Wald sind, machen Christian und Matse ein kleines Lagerfeuer zwischen den Autos, nachdem sie einen ordentlichen Kreis aus großen Steinen gelegt haben. Diese Rock’n’Roller sind im Grunde nämlich zutiefst vernünftig.
Wir haben auf dem Weg noch mal bei Lidl gehalten und Dosen-Ravioli mit Tomatensoße gekauft, um sie zum Abendbrot aufzuwärmen. Milo sucht ratlos nach dem Campingkocher. »Kacke, ist das eine Unordnung hier.« Er wühlt sich durch Klamottenberge im Laderaum.
Ich schleiche eine Weile um Robert herum und traue mich schließlich zu fragen, ob er mir ein Interview gibt.
»Mann, da hast du dir aber den besten Tag für ausgesucht«, sagt er und folgt mir trotzdem auf die kleine Waldlichtung, wo die Stimmen der anderen nur noch leise zu hören sind. Er setzt sich auf einen umgekippten Baumstamm und ich stelle meine Kamera auf das Stativ und richte das Bild ein. Die Abendsonne macht ein wunderschönes Licht und verleiht Robert dadurch eine gesunde Gesichtsfarbe, die er normalerweise nicht hat.
»Siehst gut aus«, sage ich, um ihm ein gutes Gefühl zu geben, aber er runzelt nur die Stirn und sieht mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. »Okay. Können wir?«, frage ich.
»Was soll ich erzählen?«, will er wissen.
»Erzähle mir vom Schlagzeugspielen.« Ich drücke auf Play.
»Pfff.« Er atmet tief aus und fährt sich mit der Hand durch die Haare, dass sie ihm ganz wild vom Kopf abstehen.
ROBERT: Ich kann nicht viel, okay. In der Schule unterer Bereich. Vereinssport bin ich rausgeflogen, und Hobbys, na ja, Hobbys sind was für Mädchen. Sorry! Aber wenn ich was kann, dann Schlagzeug spielen. Ich spiele um mein Leben. Verstehst du? … Verstehst du? … Ich glaube nicht, dass du das verstehst. Ich will dir nicht zu nahe treten oder so. Aber das verstehst du nicht. Es ist echt ein beknacktes Gefühl, so um sein Leben zu spielen.
Im Optimalfall bist du wütend. Dann kannst du die ganze Scheißwut rauskloppen, auf die Drums eindreschen. In zwei Stunden kann man sich echt gut abreagieren. Aber wenn du glücklich bist, was ja selten genug vorkommt, dann kloppst du auch das raus, und am Ende bleibt nichts mehr übrig von dem Gefühl. Du bist nur noch leer. Nicht mehr ansprechbar. Und die Hände zittern noch Stunden danach, obwohl alles längst vorbei ist. (Er hält seine Hände in die Kamera. Kleine, knubbelige Finger mit abgekauten Nägeln.)
Du fragst dich sicher, warum ich das mache. Weil ich nichts anderes kann … (Er sieht verloren in die Kamera, als ob er dort etwas sucht.) Du kannst ausmachen.
Er legt sich auf den Baumstamm, verschränkt seine Arme hinter dem Kopf und schaut zum Himmel. Ich warte noch einen Moment, aber als Robert sich nicht mehr rührt, fange ich an, meine
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