Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman

Titel: Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
lernen, ich habe nächste Woche Prüfungen, ich bin jetzt fast 31, das ist meine letzte Chance, aber das interessiert ja keinen, sie vergisst sogar, was ich da lerne, oder sie sagt es absichtlich falsch, sie sagt Masseuse, dabei ist es Physiotherapie, Phy-si-o-the-ra-pie, herrgottnochmal.
    Ist ja gut, schrei nicht so. Sie ist eine alte Frau, sie hat Schmerzen, sie will, dass man sich um sie kümmert.
    Gut, dass du das erwähnst, Bruderherz.
    Ja, ja, schon gut, ich werde mich kümmern. Ich hatte viel um die Ohren in letzter Zeit, und jetzt ist, wie’s aussieht, wieder was Neues im Anmarsch, wie es halt so ist.
    Hm, sagte Marlene, die, sobald es nicht um sie geht, kein Interesse mehr hat.
    Hm, sagte Greta, die nicht so viel von diesen Dingen versteht, sie will auch nichts davon verstehen, sie will am besten gar nichts davon hören, vor allem will sie nichts von Schwierigkeiten hören, und jede Veränderung ist für sie zugleich eine Schwierigkeit, sie nimmt immer das Schlimmste an, malt Armeen von Teufeln an die Wand, ich weiß das selbst, mein Sohn, so ist meine Veranlagung, deswegen will ich ausschließlich Gutes hören, dass es dir gut geht, dass ich mir wenigstens um dich keine Sorgen machen muss, du bist dasjenige von meinen Kindern, um das man sich keine Sorgen machen muss, und Sorgen wären das Einzige, was ich mir machen könnte, helfen könnte ich nicht, wie sollte ich denn helfen, ich weiß selber weder ein noch aus.
     
    Natürlich fand dieses Telefonat nicht so statt, sondern so, dass er erst die eine anrief, dann die andere, dann wieder die eine
und schließlich wieder die andere. Währenddessen wartete Flora, spazierte auf der Stelle, sah Pflanzen und Tieren und schließlich den Sternen zu, wie einer nach dem anderen sich schlafen legte bzw. herauskam. Immer zwischen zwei Telefonaten fluchte sich Kopp kurz aus - … …! - sie sah zu ihm herüber, fragte aber nichts, es wäre auch gar keine Zeit dafür gewesen, er rief schon wieder an. Irgendwann hatte Flora genug. Sie spazierte so lange, bis sie in sein Gesichtsfeld kam. - Das war gar nicht so einfach, Liebster. Du hast dich immer dorthin gedreht, wo ich nicht war. - Sie musste beim Herumgehen mehrfach die Richtung ändern, wie in einem Stück Modern Dance. Sie zeigte ihm an, dass sie Durst hatte: hohle Hand, die ein Glas hält, Mund, der sich öffnet, Kopf, der nach hinten kippt, zeigte in die Richtung, in der sie wohnten, zeigte erneut »trinken« an, und dann wieder nach vorne. Kopp nickte und zeigte 5 Finger: in 5 Minuten.
    Nach Kopps Empfinden 10 Minuten, laut Flora eine halbe Stunde später wiederholte sich dasselbe noch einmal, diesmal von ihrer Seite um einiges ungeduldiger: Durst! Ich fahre jetzt!, von seiner um Nachsicht bittend und resigniert: Gut, ich komme hinterher, in 5 Minuten. Sie rollte den Hügel hinunter, ihr Rock flatterte, sie verschwand im Wald.
     
    Im Übrigen hatte es dann wirklich nur noch 5 Minuten gedauert. Wenn ich mich beeile, kann ich sie noch einholen. Auch Kopp hatte jetzt großen Durst - abgekämpft, wie nach einer Woche Messe, in den Ohren dröhnt es, die Augen brennen, der Mund ist eine Wüste, bis hinunter in Speise- und Luftröhre, nicht abwaschbarer Schweiß sitzt in allen Falten, aber besonders am Hals, er klebt, die Hände kleben - also verlor er keine weitere Zeit mehr, ließ den Blick nicht noch einmal über die Landschaft schweifen - da, schau, ein kleines Flugzeug, das
über die Baumwipfel zieht, eine Zlin - sondern schwang sich unverzüglich in den Sattel. Tatsächlich: schwang , als wäre es ein Herrenfahrrad, aber es war keins, und so fing es gefährlich zu schwanken an, gleich falle ich hin, aber er fiel nicht, er rettete sich, beide Füße auf den Pedalen, und jetzt treten, sonst fällst du noch wirklich. Er trat, das Fahrrad rollte los, den Hügel hinunter. Beim Aufsetzen merkte er, dass ihm der Hintern wehtat. Das berührte ihn unangenehm, er wurde gereizt davon, aber dann kam das Rollen in Gange und er genoss es, wie es nicht anders möglich ist.
     
    Flora hatte Durst angezeigt, Durst, also Ausflugslokal, also am Waldrand links. Das Rollen hatte sich verbraucht, er trat wieder in die Pedale, auf flacher Strecke ging es besser, eine Weile genoss er nun das: Kraftausübung, Geschwindigkeit aufnehmen. Vorfreude auf das Ausflugslokal, auf Schnitzel und Bier. Nachfreude darüber, dass er das Familientelefonat also hinter sich gebracht hatte. Eine Woche habe ich mindestens gewonnen. (Ist das nett von mir?

Weitere Kostenlose Bücher