Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
Darius Kopp, ich hab’s gar nicht klingeln gehört …
Ja?!! Wer ist da?!!
Sie hatte etwas im Mund, wahrscheinlich ein Bonbon, es klackte gegen ihre Zähne, das war irritierend, zudem fiel sie Kopp andauernd ins Wort, kaum dass er es im zweiten Anlauf
hinbekam, zu sagen, wer er sei, dass er zurückrufe, dass sie bei ihm angerufen habe …
Ja!!! Offenbar konnte sie nicht anders, als ins Telefon zu schreien, als stünde sie mitten auf einer belebten Kreuzung oder als würde ein Sturm um sie herum wüten. Ihren eigenen Namen und den ihrer Organisation leierte sie nebenbei herunter und schrie Kopp gleich wieder an: Können Sie kommen?! Am Freitag?! Oder am Montag?! Oder Dienstag?!
Um was für …
Ja?!!!
Um was für ein Projekt handelt es …
Ein Regierungsprojekt! Können Sie Freitag kommen?!
(Regierung? Welche Regierung?) Diesen Freitag? Lassen Sie mich schau …
Ja?!!!
Kopp klickte den Kalender auf (hektisch; sie macht einen ganz hektisch) -
Ping! sagte der Rechner. »Termin überfällig: 9:00, Uni.« Geh mir nicht auf die Nerven! Er klickte die Benachrichtigung - Erledigt! - weg.
- um zu sehen, was er sowieso schon wusste: am Freitag hatte er noch keinen Termin, weder geschäftlich noch privat. Zudem war das der falsche Schritt, er hätte stattdessen den Browser öffnen müssen. Mit der einen Hand telefonieren, mit der anderen herausfinden, wer die Leute überhaupt sind.
Einen Moment, Frau Mirza, ja?, einen Moment, ich muss Sie kurz hinlegen …
(Wie gut wäre es jetzt, wenn man wüsste, wie man jemanden in die Warteschleife schicken kann, damit er - diesmal: sie - nicht hört, wie man auf der Tastatur klappert …) Suche: pakistanisch, deutsch, Kultur, Kommunikation, Mirsa. … Er hatte Glück, er fand die Webpräsenz ihrer Organisation gleich
auf der ersten Seite, darauf ihren richtigen Namen: Shahzana Mirza. Es gab sogar ein Foto von ihr. Ich weiß jetzt, wie Sie aussehen. Wie ein Foto von Ihnen aussieht.
Ja, also am Freitag …
Oder Montag?! Montag um 9?!
Das ginge auch …
Gut! Montag um 9!
Ja, und …
Da hatte sie schon aufgelegt.
Auf der Website stand zwar eine Adresse, aber Kopp hatte seine Lektion gelernt und rief noch einmal an, um sie sich bestätigen zu lassen.
Ja!! schrie Shahzana Mirza. Montag um 9, 4. Hof, 3. Stock!!!
Kopp hatte Schweiß in den Handflächen und auf der Stirn, aber seine Laune war noch besser geworden. Er wischte sich mit den Unterarmen die Stirn, trocknete sich die Hände am Hemd ab - an den weichen Flanken seines runden Bauches - und lachte: Die Welt ist voller Freaks. Wirklich. Voller Freaks. Und ich mitten unter ihnen. Allein heute: ein Choleriker, ein Miesepeter, ein Streber und eine Hektikerin. Gegenüber all diesen habe ich meine beste Form gebracht. Du kannst stolz auf dich sein. Ich bin es.
Stolz, selbstsicher, energiegeladen, optimistisch war Darius Kopp, als er das zweite Mal in London anrief. (How do you do, Stephanie? How ist the weather in London? I am in a good mood, indeed . I am always in a good mood. Is he there? How is it going, Anthony?)
In London ging niemand ran. Mittlerweile war es um 4 Uhr. Minus 1. Wie lange haben die Kassenschalter der Banken noch auf? 2 Stunden. Das ist, wurde Kopp nun klar, so oder so zu wenig Zeit. Selbst wenn es das Problem mit dem Nachweis
über die Herkunft des Geldes nicht gäbe. Aber es gibt ihn. Der Karton wird mindestens eine weitere Nacht im Büro bleiben müssen. Kopp horchte in sich hinein, wie er sich dabei fühlte. Ich kann nicht sagen, dass ich beunruhigt wäre. Nein. Das ist ein sicherer Ort. Londons Verhalten war unabhängig davon unerklärlich.
E-Mail-Programm wieder auf, einen Zweizeiler verfasst:
Dear Stephanie, ich erreiche euch nicht. Is there anything wrong with the phone? Bitte um Rückruf oder Mail.
Er vergaß, die Mail zu unterschreiben, schickte eine zweite hinterher, in der er sich dafür entschuldigte.
Und dann noch eine, in der er fragte, ob man die Mail von gestern erhalten habe. With kind regards, Darius
Da er für den Moment nicht wusste, was er sonst tun sollte, weil er nachdenken wollte, öffnete er den Browser, die Nachrichtenseiten - auch davon habe ich heute noch nichts gehabt. Er las sehr aufmerksam die Schlagzeilen.
Isolierter Indianerstamm im brasilianischen Dschungel entdeckt.
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Seaman fürchtet feindliche Übernahme.
Kim-Jong-Ils Abwesenheit irritiert Freunde und Feinde.
Berliner Sechslinge kuscheln schon mit Mama
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