Der Eiserne König
haben, schloss aber die Augen, um das Gemetzel nicht mitansehen zu müssen.
Deshalb bemerkte er nicht, wie die vor den Wurzeln stehende Barbera zornig die Fäuste ballte. Diese sieben wie aus dem Nichts erschienenen Recken brachten ihre Krieger in schwere Bedrängnis. Sogar die Karontiden wandten, von den Sternen auf den Schilden geblendet, die Köpfe ab und steckten einen Streich nach dem anderen ein. Barbera zog einen Dolch unter ihrem Gewand hervor. Dann eilte sie durch das Labyrinth der Eschenwurzeln zum Kerker mit den drei blinden Feen.
Während die Sonne sank, verteilten sich die Welse rings um den Werder im Fluss. Maleen ging mit der Muhme und den zwei Tieren durch das Ufergestrüpp. Je näher sie dem Hag kamen, desto höher schien er über ihnen aufzuragen. Oben kreisten Krähen, und die Ranken knackten wie von Glut durchströmt. Maleen flüsterte Zeisig und Sperling etwas zu. Die Vögel strichen von ihren Schultern ab und stiegen vor dem Hag auf. Aber sie wurden vor dem Erreichen des oberen Randes von den Krähen attackiert und kehrten aufgeregt zwitschernd zu Maleen zurück.
»Die Krähen lassen niemanden hinüber«, sagte Maleen.
»Ich mag keine schwarzen Vögel«, murrte der Dachs. »Wenn ich an diese sieben Raben denke …«
»Irgendwo muss der Mutterstamm des Hags sein«, sagte die auf ihren Stock gestützte Muhme. »Wir müssen ihn finden.«
Maleen fröstelte, als sie im Schatten des Hags über den Hang liefen und Ausschau nach dem Mutterstamm hielten. Ab und zu sah sie weiter unten im Fluss einen der Welse, die den Werder eingekreist hatten. Der Hang war steil, sein Gras so grau wie das der Uferbäume. Nicht nur, dass der Hag allen Pflanzen ringsumher die Lebenskraft raubte, nein, das Siechtum der Esche spiegelte sich auch in der darbenden Vegetation. Zu ihrem Entsetzen entdeckten die zwei Tiere und die beiden Frauen mehrere tote Helden, die beim Versuch, den Hag zu überwinden, von Dornen aufgespießt worden waren; manche reckten noch einen Arm nach dem unerreichbaren Ziel.
Nach einem langen Marsch erreichten sie das südliche Ende des Hags, das ähnlich spitz zulief wie ein Schiffsbug.
»Ist das hier der Mutterstamm?«, rief der vorausgeeilte Fuchs.
Die Muhme beeilte sich, ihn einzuholen. Sie betrachtete den turmdicken Stamm, aus dem der Hag entsprang: Von hier aus verwoben sich Hunderte von Armen zu dem Gespinst aus Ranken und Dornen, das die Feste der Gografen umschloss. »Ja, das ist er«, sagte sie und drehte sich zum Fluss um, der in der Abendsonne glitzerte. Dann fuhr sie fort: »Ich weiß nicht, was unseren Gefährten widerfahren ist. Aber ob sie noch leben oder nicht – wir setzen ihren Kampf fort. Wir überwinden den Hag. Und zwar nicht wie diese armen Kerle …« – sie zeigte auf einen Helden, der weiter oben am Stamm auf einem Dorn hing – »… indem wir klettern. Nein, wir nutzen andere Kräfte.« Sie paffte einen Rauchkringel, den der Wind sofort zerriss.
Da kam auch Maleen mit müden Schritten herbei. Sie blieb vor der Muhme stehen und fragte: »Muss ich?«
»Ja«, erwiderte die Muhme. »Du weißt doch, was wir mit den Welsen verabredet haben.« Sie biss auf den Pfeifenstiel und zog eine Grimasse, um ihre Sorge angesichts der erschöpften Maleen zu verbergen.
Diese wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann kraulte sie den Fuchs, der sich auf den Rücken rollte und genussvoll zu hecheln begann. Sperling und Zeisig tschilpten auf ihren Schultern. »Ihr wollt auch, dass ich es versuche?«, fragte sie die Vögel. Sie drückte ihren wunden Rücken durch und sah zu den Wolken auf, die so gemächlich dahinzogen, als wollten sie beobachten, was auf dem Werder vor sich ging.
»Ihr haltet Ausschau«, wies die Muhme Dachs und Fuchs an. »Man weiß nie, was kommt.«
»Was könnte denn kommen?«, japste der Fuchs.
»Ach«, sagte der Dachs, »höchstens der Weltuntergang.«
Maleen ließ sich vor dem Mutterstamm im Gras nieder. Sie legte die Hände in den Schoß, schloss ihre grünen Augen und begann, sich in sich selbst zu versenken. Die zwei Vögel auf ihren Schultern verstummten.
Die Muhme reckte den Hals – sie meinte, den alten Waller vor der Südspitze des Werders zu sehen. Dann setzte sie sich hinter Maleen und verschränkte die Hände auf dem Stock.
Die Krähen spürten die Gegenwart der Welse; sie spürten eine gegen sie gerichtete Kraft; sie ahnten, dass das Mädchen etwas vorhatte, aber sie wussten nicht, was. Sie ließen sich auf dem Rand des
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