Der eiserne Skorpion - Roman
ausbreitete. Ihr war gerade klar geworden, was Spencer ihr anzutun plante. Vielleicht hatte sie mit einem Verhör unter Medikamenten und Folter gerechnet oder vielleicht einer schlichten altmodischen Hinrichtung, aber dazu war die ECS zu zivilisiert.
»Wir werden mehrteilige Nanofaser-Verbindungen herstellen und die ganze Zeit lang synaptische und neurochemische Daten aufzeichnen. Dabei entsteht eine Aufzeichnung der Struktur des Gehirns, sowohl eine morphologische als auch eine neurochemische, und zugleich ein virtuelles Modell davon. Anschließend ist eine KI nötig, um dieses Modell zu dekonstruieren und die Daten dieser Dekonstruktion als Gedanken, Bilder und Erinnerungen zu interpretieren.«
»Und Sheens Gehirn?«, fragte Gorman und blickte dabei Cormac an.
Spencer blickte auf. »Es ist danach Mus. Wir erhalten die nötigen Verbindungen aufrecht, damit das autonome Nervensystem in Gang bleibt, und übergeben den Körper an den ECS-Gesundheitsdienst. Ich denke, sie versuchen sich dort inzwischen mit dem Download gespeicherter Verstandeseinheiten.«
Sheen starrte mit großen Augen seitwärts auf den Autodok. Grauen? Vielleicht, obwohl Cormac bezweifelte, dass sie solche Angst vor dem Tod hatte. Sie fürchtete wohl eher all das, was sie verraten würde.
»Download?«, fragte Gorman. »Ich habe gehört, das wäre theoretisch möglich ...«
»Man hat mir erklärt, die physische und neurochemische Struktur des Gehirns müsste verändert werden, um den bereitgehaltenen Verstand aufzunehmen«, sagte Spencer. »Dieser Umbau geschieht durch Nanomaschinen und begleitet den gesamten Download, und das Ganze nimmt Monate in Anspruch.«
»Interessant«, sagte Gorman. »Ich habe mir schon überlegt, selbst ein Memoplantat anfertigen zu lassen.« Er tippte sich an die Kopfseite.
»Noch interessanter, falls man hinterher im Körper des eigenen Mörders landet«, scherzte Spencer. Sie drückte eine Taste auf der Oberseite des Autodoks, und sofort bewegte sich eine Sonde, die an einen Röhrenwurm aus Chrom und Glas erinnerte, an die Seite von Sheens Schädel. Sheen schrie jetzt aus dem Rachen heraus, und die Öffnung ihres Mundstöpsels verwandelte diesen Laut in ein seltsames Heulen.
»Lebwohl, Sheen«, sagte Spencer. »Als Nächstes begegnest du der KI, die deinen Verstand zerlegt und daraus einen Bericht für die ECS macht.«
Es dauerte nicht lange, und Sheens Laute sanken zu einem Seufzen herab. Cormac verschränkte die Arme und sah eine kurze Zeit lang zu.
»Müssen wir noch bleiben?«, erkundigte er sich schließlich.
»Wieso?«, fragte Spencer. »Fühlst du dich unwohl bei all dem?«
»Nein, gelangweilt, und Gorman hier wollte mir ein oder zwei Bier ausgeben.«
Spencer entließ sie mit einer Handbewegung.
Einige Stunden später kehrte Cormac zurück und betrachtete das sabbernde Ding mit dem leeren Gesicht, das einmal Sheen gewesen war und jetzt auf einer Rolltrage zum Raumhafen transportiert wurde. Er fand gut, dass sie in ihrer neuen Inkarnation einem nützlichen Zweck dienen würde. Darüber hinaus empfand er gar nichts.
»Raus aus den Federn!«, sagte Gorman, als er ins Zimmer gestürmt kam und Cormac die Thermodecke herunterriss – wobei seine Anwesenheit das Licht einschaltete.
Cormacs Instinkte sagten, dass er etwa dreißig Sekunden lang geschlafen hatte, aber seinem Verstärker zufolge waren präzise fünfundfünfzig Minuten vergangen, seit sein Bewusstsein ins Kopfkissen geflüchtet war.
Seine Instinkte sagten außerdem, dass seine erste Maßnahme darin bestehen sollte, Gorman einen Faustschlag auf die Nase zu geben, das Licht auszuschalten und weiterzuschlafen. Er schwang jedoch die Beine über die Bettkante und saß eine Zeit lang dort, und er fluchte mit Bedacht nicht auf seinen Truppführer, da es genau das war, was Gorman erwartete.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Cormac.
»Räum deine Sachen zusammen«, sagte Gorman, verschaffte sich einen Überblick über die spärliche Ansammlung Habseligkeiten im Zimmer und runzelte die Stirn. »Wir reisen mit dem Schiff ab.«
»Wieso?«
»Anscheinend hat Agent Spencer vor, uns das an Bord des Angriffsschiffs genau zu erklären«, sagte Gorman.
Jetzt fluchte Cormac allerdings, und sein Truppführer grinste. Offenkundig hatte er gewusst, dass sein Hinweis, dass sie noch immer unter Spencers Befehl standen, wahrscheinlich keine Reaktion bei ihm erzeugte, sehr wohl jedoch die Information, dass sie bald an Bord eines Angriffsschiffs sein würden.
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