Der eiserne Thron
Arenaleitung und die Besuchermassen hinter ihm standen. Aber
irgendwann würde ihre Neugier über ihre Verehrung des Helden hinauswachsen, und es wäre nur noch eine Frage der Zeit,
bis sich die ersten gegen ihn stellten. So war es immer: Am
Ende wandte sich die Menge gegen ihren Helden; wegen Geld
wegen des Augenblicks oder einfach nur, um zu sehen, wie
die Großen fielen. Wenn er auch nur ein klein wenig Vernunft
besaß, dann würde er jetzt aufhören – solange er noch jung
war, solange er noch gesund war und es noch sicher war aufzuhören. Aber die Rolle des Maskierten Gladiators war wichtig für ihn. Jedenfalls viel wichtiger als die des berüchtigten
jungen Stutzers Finlay Feldglöck. Ursprünglich war die Rolle
nur als ein Scherz gedacht gewesen, der die Aufmerksamkeit
von seinem wahren Selbst hatte ablenken sollen, doch Finlay
empfand den Scherz schon lange nicht mehr als lustig. Nicht
zuletzt auch deswegen, weil er sich gar nicht mehr sicher war,
wie sein wirkliches Selbst eigentlich aussah.
Erst vor einer Stunde hatte er neben dem Bett gestanden und
auf die beiden verschiedenen Garderoben gestarrt, die vor ihm
ausgebreitet lagen. Wenn er die eine anzog, dann war er Finlay Feldglöck, und wenn er die andere anzog, dann war er der
Maskierte Gladiator. Aber wer war er zu diesem Zeitpunkt,
nackt und allein, ohne Garderobe, die seine Identität festlegte?
Wer war er, wenn er in den Spiegel blickte und das Gesicht
nicht erkannte, das ihm entgegensah? Er spielte seine beiden
Rollen nun schon so lange und mit solcher Überzeugung, daß
sie beinahe so etwas wie ein Eigenleben entwickelt hatten, ihn
nicht mehr brauchten, wie zwei selbständige Menschen. Die
Masken hatten sich an seinem Gesicht festgesogen und ließen
nicht mehr los. Früher hatte er gewußt, wer er war: der Mann,
der Evangeline Shreck liebte. Aber die Zeit, die beide miteinander verbrachten, wurde immer weniger, denn ihre Familien
nahmen die Erben immer mehr in Beschlag, und sowohl Finlay als auch der Gladiator wurden ständig irgendwo anders
gebraucht. Er liebte Evangeline und er brauchte sie, aber welche seiner beiden Vitae liebte sie ? War einer der Charaktere,
die sie liebte, wirklich Finlay Feldglöck?
Schließlich hatte er Finlays Garderobe angelegt, weil die
Familie Finlay anzutreffen erwartete. Ein weiteres seiner
schrillen Outfits, so extrem geschnitten und farbenprächtig,
wie es das nackte Auge eben ertragen konnte. Er bemalte sein
Gesicht mit einem fluoreszierenden Stift, metallisierte das
Haar mit schnellen, geübten Strichen und machte sich auf den
Weg zu dem anberaumten Familientreffen, während die Gedanken in seinem Kopf in diese und jene Richtung rollten und
tanzten wie Wellen, die von einem Sturm vorangepeitscht
wurden. An der Tür zu seinen Gemächern gesellten sich seine
Leibwächter zu ihm, und gemeinsam trotteten sie schnellen
Schrittes durch den Korridor voran, damit er mit niemandem
sprechen mußte. Er lächelte den Leuten noch immer zuckersüß zu und nickte freundlich, wie Finlay Feldglöck es tun
würde, und sie lächelten und nickten zurück, offensichtlich
ohne einen Unterschied zu bemerken. Was Finlays Meinung
über sie oder ihn selbst nicht eben verbesserte. Wer war
dümmer: Der Mann, der eine Lüge lebte, oder die, die sie ihm
abkauften?
Schließlich erreichten sie den Feldglöck-Turm. Finlay blieb
an der Basis stehen und blickte nach oben. Es war ein hohes,
schlankes Bauwerk aus poliertem, glänzendem Marmor, das
drohend und finster vor ihm aufragte wie ein Botschafter der
Verdammnis, voll unausgesprochener Drohung und Gefahr.
Es ragte deutlich über die umgebenden kleineren, blassen
Türme niederer Clans hinaus, ein Monument von Macht, Geld
und Arroganz. Hier liefen die Fäden zusammen, hier wurden
alle Geschäfte des Feldglöck-Clans abgewickelt, sicher vor
den Augen und Ohren Außenstehender, einschließlich einiger
Dinge, über die niemals außerhalb der Familie gesprochen
wurde und die selbst die hartgesottene Versammlung der
Lords schockiert hätten. Ringsum standen bewaffnete Posten
und sicherten die Umgebung, und im Innern befanden sich
sogar noch mehr. Finlay fragte sich, was vorgefallen sein
mochte, während er die weiträumige, elegante Empfangshalle
in Richtung der Aufzüge durchquerte. Irgend etwas mußte
geschehen sein. So starke Sicherheitsvorkehrungen waren
nicht üblich, selbst für eine derart paranoide Familie wie die
Feldglöcks. Die
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