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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Männer, die auf der Insel ausharren sollen, suchen sich ihre Schlaf- und Essensplätze für die kommenden zwei Wochen. Sie tun es ohne Murren, fast teilnahmslos.
    Was sind schon zwei Wochen! Zwei Wochen sind vergangen, seit wir die Scholle verlassen haben. Es ist der 454. Tag im Eis, Karfreitag 1916. Zwei weitere Tage veranschlagt Chippy McNeish, um die JAMES CAIRD reisetauglich zu machen. Am Ostermontag soll sie in See stechen. Ich versuche, nicht daran zu denken, und bin dennoch im Taumel, fast so wie damals vor Auslaufen der JOHN LONDON aus Newport. Bakewell hat Recht: Anscheinend habe ich nichts dazugelernt. Als ich ihn frage, wovor er mehr Angst habe, davor, die Kameraden sich selbst zu überlassen, oder davor, mit einem zusammengeflickten Beiboot ins Ungewisse zu segeln, schüttelt er bloß den Kopf und sagt: »Weder noch. Ich habe nur Bammel, dass ich nicht durchhalte. Dass dadurch das Boot nicht durchkommt. Und dass dadurch wiederum Wild und die anderen keine Chance haben, jemals zurückzukommen.« Seine Stimme ist hart und flach, er ist nervös, fahrig und angespannt; ich störe ihn dabei, sich innerlich vorzubereiten. Bald wird er gar nichts mehr sagen. Dann wird er bereit und sein Bammel nicht mehr der Rede wert sein.
    Aber noch ist es nicht so weit. Er nimmt mein Gesicht in die Hände.
    Â»Komm, Kleiner, sieh’s doch mal so: Wir sechs haben es selbst in der Hand. Und was immer wir draus machen, ist besser, als hier im Pinguindreck einem Tag entgegenzufiebern, der vielleicht nie kommt. Sag’s keinem weiter, aber mich lässt das jeden einzelnen verfluchten Augenblick auf Frank Wilds Strand auskosten, und das, obwohl ich vor Wehmut bald irre werde.«
    Zur Morgenmilch im Hauptzelt lässt Shackleton antreten. Er gibt Rangfolge und Postenverteilung auf der Insel und an Bord des Bootes bekannt. Ich halte mich an meinen Auftrag und beobachte Vincents Reaktion. Die Nachricht, dass der Sir nicht ihn, sondern Bakewell zum Bos’n bestimmt, trifft ihn unvorbereitet, sie erschüttert ihn so sehr, dass von seiner Genugtuung, unter den auserwählten sechs zu sein, nichts übrig bleibt. Worsley Navigator, Crean Steuermann, Bakewell Bootsmann und nun sogar ich Proviantmeister – Vincent fährt bloß als Matrose mit. Als Matrose, das weiß er, hat er ab sofort jedem Befehl von uns fünfen Folge zu leisten. Als sich die Runde auflöst, blitzt aus seinen Augen der Zorn dessen, der sich übergangen fühlt, aber wenn ich mich nicht täusche, funkelt dort genauso die Traurigkeit, Naukes Traurigkeit.
    Shackleton ist Vincents Verfassung nicht entgangen, er schickt mir einen auffordernden Blick und nickt in Vincents Richtung.
    Â»Mister Vincent«, sage ich also mit flatternder Stimme, denn es ist in meinem ganzen Leben der erste Befehl, den ich erteile, »Sie melden sich beim Zimmermann, um ihm zur Hand zu gehen. Geben Sie mir Bescheid, sobald mit der Verproviantierung des Bootes begonnen werden kann.«
    Im Zelteingang bleckt Vincent die Zähne, lässt sich aber nicht hinreißen, etwas zu erwidern. Stattdessen brummt Crean, Vincent solle meine Order bestätigen. Vincent bestätigt. Und kaum dass er hinaus ist, zwinkert mir Crean zu.
    Mit Bakewell, der für die Ballastbeladung zuständig ist, gehe ich bei Nieselregen das Boot inspizieren. McNeish und Vincent haben den Walfängerkutter in ein vollkommenes Miniatursegelschiff verwandelt. Die JAMES CAIRD ist keine sieben Meter lang, doch nun besitzt sie Hauptmast und Klüverbaum. McNeish hat das Schanzkleid erhöht, und er hat aus Schlittenkufen und Segeltuch eine Abdeckung angefertigt, unter der Besatzung und Proviant zumindest einigermaßen vor den Sturzseen geschützt sein werden.
    Es gibt zwei Einstiege ins Bootsinnere. Der eine liegt heckwärts am Steuer, der andere im Vorschiff zwischen den Masten. Dort lasse ich mich hinunter und besehe mir zum ersten Mal meine Bleibe für die kommenden Wochen. Der Raum ist so finster, so eng und so niedrig, dass es mir den Atem verschlägt. Wie sollen die Hünen Vincent und Crean, dazu ich Lulatsch und noch drei weitere Männer hier Platz finden? Und dabei ist noch kein Stück Proviant verstaut. Schon jetzt erscheint es mir ausgeschlossen, vom Bug ganz bis zum Heck zu gelangen, es sei denn kriechend, auf Händen und Knien. Denn auf halber Höhe queren den schummrigen Raum die vier Ruderbänke, die nun nichts als Streben

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