Der Eisplanet
sind meine einzige Verbindung zu der Welt, die ich verloren habe. Vielleicht rettet ihre Bekanntschaft mich vor dem Wahnsinn.« Er musterte den alten Mann. »Sir, Sie sind mein Psychochirurg. Sie wissen alles über mich, aber ich weiß nichts über Sie, ausgenommen, daß Sie viel Zeit Ihres Lebens dafür verschwendet haben, nach einem vorzeitlichen Hirnklumpen eine menschliche Persönlichkeit zu rekonstruieren. Soll ich Sie Doktor nennen oder tragen Sie einen Namen?«
»Entschuldigen Sie. Ich hätte mich früher vorstellen sollen.« Er lächelte. »Sie können mich Doktor nennen, wenn es Ihnen beliebt, doch habe ich auch einen Namen. Er lautet Manfrius de Skun.«
»Doktor Manfrius de Skun, so. Man hat mir gesagt, daß ich mich auf Minerva befinde, dem zehnten Planeten des solaren Systems. Damals, zu meiner Zeit, galt die Existenz eines zehnten Planeten nur als Theorie, angeregt durch Unregelmäßigkeiten in der Umlaufbahn des Neptun.« Er lachte. »Aber ich muß Ihnen glauben, daß es diesen Planeten gibt – wie ich Ihnen glauben muß, daß ich existiere ... Was ist mit der Erde? Was ist in fünf Jahrtausenden geschehen?«
Manfrius de Skun und Zylonia tauschten Blicke aus. Das Mädchen hob schwach die Schultern.
Dr. de Skun blickte in Idris Hamiltons Auge. »Soweit wir es wissen, ist auf der Erde alles menschliche Leben ausgestorben.«
»Und der Mond? Der Satellit der Erde?«
»Das gleiche.«
»Der Mars? Unsere gesamten Hoffnungen richteten sich auf den Mars. Nach fünftausend Jahren muß er ein prächtig blühender Planet sein. Die Erde hat alles dafür getan. Es gab ein gewaltiges planetentechnisches Programm, das dem Mars eine atembare Atmosphäre verleihen sollte, fruchtbaren Boden, Wasser ...« Er verstummte, als er Manfrius de Skuns Miene bemerkte. »Was hat sich auf dem Mars ereignet?«
»Es tut mir leid, Kapitän Hamilton. Für Sie ist das alles wie gestern erst geschehen. Für mich sind es historische Begebenheiten. Der Mars ist tot. Die Vorfahren der Bewohner unseres Planeten waren Flüchtlinge der Marskriege. Sie verließen den Mars kurz vor dem endgültigen atomaren Inferno.«
»Das glaube ich nicht!«
»Es ist so.«
»Ich glaube es nicht!« Seine elektronische Stimme, die seinem Gefühlsausbruch Ausdruck verlieh, hallte wie Donner durch die Nachbildung der Kabine, und die beiden preßten die Hände auf ihre Ohren, während ihre Gesichter sich schmerzlich verzerrten.
»Bitte, Kapitän Hamilton«, bat Zylonia. »Sie mißhandeln uns. Sie müssen die Lautstärke kontrollieren, andernfalls sind wir gezwungen, einen automatischen Regulator zu installieren.«
Anscheinend hatte er sie nicht gehört, aber seine Stimme sank dennoch herab. »Denken Sie an die Millionen, die zugrunde gingen, damit die Menschheit auf dem Mars einen Neubeginn fände ... an Suzy und Orlando und Leo ... alles umsonst ... Ich kann es nicht glauben. Ich kann es nicht ... Sie lügen, Sie lügen beide. Unmöglich, daß sie umsonst gestorben sein sollen. Die ganze Geschichte der Menschheit kann doch nicht ein solches Ende genommen haben ...«
»Idris Hamilton, bitte sehen Sie mich an«, sagte Dr. de Skun leise. »Bringen Sie Ihr Auge näher, und schauen Sie in mein Gesicht. Sagen Sie mir, was Sie sehen.«
»Ich sehe weiße Haare und Falten, das Gesicht eines alten Mannes. Ich sehe Tränen auf Ihren Wangen.«
»Forschen Sie nach Unaufrichtigkeit, nach Lüge. Sagen Sie, ob Sie so etwas finden.«
»Ich sehe Tränen, Trauer. Warum weinen Sie, Dr. de Skun?«
»Soll ich nicht ebenfalls um die menschliche Rasse trauern, um die tapferen und kühnen Menschen, die eine zweite Chance zu erringen versuchten? Die letzte Zufluchtsstätte der Menschheit, Idris Hamilton, ist der zehnte Planet des solaren Systems, Minerva. Wir errichten keine Imperien, wir sinnen nicht auf Eroberung. Wir leben in Harmonie. Harmonie ist unser Fundament, unser heiligstes Prinzip und oberstes Gesetz. Wir sind eine stabile Gemeinschaft von ungefähr zehntausend Menschen.«
»Zehntausend! Mehr ist nicht von einer Rasse geblieben, die einmal fünfzehn Milliarden zählte!«
»Biologisch betrachtet, genügt diese Anzahl«, sagte Manfrius de Skun. »Sollte es jemals unsere Absicht sein, uns erneut millionenfach zu vermehren, steht vielfältiges genetisches Material ausreichend zur Verfügung.«
»Welche Absichten verfolgen Sie, Dr. de Skun? Was wollen diese zehntausend Menschen auf Minerva, nach welchem Ziel trachten sie?«
Der alte Mann lächelte schwach.
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