Der Eisvogel - Roman
gefüllt wurde, plumpsend und gurgelnd, allmählich heller werdend und sich verlierend, ein Geräusch tiefen Friedens, das meine Hemmungen, meine Nervosität glättete wie ein Öltropfen unruhiges Wasser. Die Allee mündete in einen Platz, auf dem Container für Weiß-, Braun- und Grünglas standen, und einen Sandweg, der sich zur Havel schlängelte, die hier und dort zwischen Schilf und Uferbäumen hervorblinkte. Das Haus, am Ende der Allee, duckte sich unter Fichten, die flächige Schräge des Dachs verschwand fast hinter den Rhododendronbüschen, die mit violetten und rosafarbenen Blüten bedeckt waren
– ein Schatten löste sich vom Gartenweg und bewegte sich in raschen Sprüngen auf mich zu, erschrocken nahm ich die Hand vom rissigen, auf einer Duroplastscheibe in feineStaubringe gefaßten Klingelknopf und trat auf die Allee zurück, in der Hoffnung, daß der Besitzer des Hundes mich von einem der Fenster würde sehen können, die hinter den Rhododendren und einigen Kornapfelbäumen durchschimmerten. Der Hund sprang am Tor hoch, ohne zu bellen, legte die Vorderpfoten auf das Gatter, zeigte die Zähne und knurrte. Kein sehr freundlicher Empfang für jemand, der eingeladen war. Plötzlich stellte der Hund die Ohren auf und sprang in riesigen Sätzen über den Gartenweg zurück zum Haus, ein scharfes Tasso! durchschnitt die Luft. Ich zögerte, war mir immer noch nicht sicher, ob ich gehen oder eintreten sollte. Knackend meldete sich die Gegensprechanlage: Keine Angst vor dem Hund, er wird Sie nicht mehr belästigen. Wollen Sie zu Professor Kaltmeister? Er ist im Gewächshaus, den Weg rechts entlang, hörte ich die gleiche Stimme, die den Hund Tasso gerufen hatte; Mauritz’ Stimme, wie ich bald darauf wissen würde
– ah, Sie sind gekommen, ich hoffe, daß Ihnen Tasso keinen Schreck eingejagt hat, wie oft habe ich Mauritz gesagt, daß er den Hund im Zwinger halten soll, wenn Besuch kommt, höre ich den alten Kaltmeister sagen, sehe den weißen Hut über dem sonnengebräunten Gesicht, der ihm das Aussehen eines Gärtners verlieh. Die schwülfeuchte Wärme im Gewächshaus ließ die Luft fließen, ich hatte Angst, daß die kornblumenblauen Augen, die mich hinter blitzenden Brillengläsern freundlich musterten, die Schweißflecken entdecken könnten, die sich unter meinen Achseln zu bilden begonnen hatten; der Professor stand in Gummistiefeln in einem der kleinen Teiche und machte sich an den Wasserpflanzen zu schaffen, er kam, gab mir die Hand und bat mich, ihn noch für zehn Minuten zu entschuldigen, ich könne schon ins Haus gehen, wenn ich wolle, Mauritz habe einen Imbiß vorbereitet und werde mir Gesellschaft leisten. Wenn er nichts dagegen habe, sagte ich,wolle ich mich auf die Bank am Eingang setzen und lauschen, – Lauschen? fragte er erstaunt, – Der Stille, antwortete ich, er lächelte, und ich beobachtete ihn, wie er sachkundig an den Blattscheiben einer Victoria Regia arbeitete, radgroße, an den Rändern kronkorkenartig aufgebogene Schwimm-Tamburine, die sogar – das würde mir Mauritz später zeigen – das Gewicht eines Mannes zu tragen vermochten, ohne zu kentern. Ich sah Kaltmeister zu und bemerkte bald, daß seine Tätigkeit keine gärtnerische war; die Sachkunde machte mich neugierig und fesselte mich, und zwar deshalb, weil ich nicht genau bestimmen konnte, worin diese Sachkunde bestand, nur daß sie vorhanden war, spürte ich. Er stand gebückt im Teich, richtete sich hin und wieder auf, um etwas auf ein Blatt Papier zu kritzeln, das auf ein vor die Brust gehängtes Klappbrett gespannt war: Mein wissenschaftlicher Bauchladen, würde er mir später erklären in seinem preußisch harten Deutsch
– sie sind wieder gegangen, die Schwestern, nachdem sie mein Thermometer eingesammelt, mit kritischem Blick meine Verbände geprüft und sich erkundigt haben, ob ich noch etwas brauche; der Verbandswagen entfernt sich donnernd, und Schwester Antje, eine hagere Mittvierzigerin, die allein lebt, kettenraucht und mehr Eichendorff-Verse auswendig kann als ich, wird sich kopfschüttelnd über die stümperhaft angelegten Bindentouren der Damen und Herren Jungdoktoren ärgern; sie ist Mitautorin eines Lehrbuchs für Verbands- und Gipstechnik, das sogar drüben in der Notaufnahme ausliegt, aber außer Jost scheint kein Arzt Kenntnis davon zu haben, oft bleibt er, wenn sie Spätdienst hat, länger auf Station, um von ihr zu lernen, und dann, sagt Schwester Silke, werde der Dienst mit ihr um einiges
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