Der Elbenschlaechter
identisches Rohr, neben ihm ein dritter. In die anhaltende Stille rief der erste: »Bitte gehen Sie jetzt weiter! Es gibt nichts mehr zu sehen. Jeder Bürger, der diese Anordnung missachtet, wird wegen Behinderung eines stadtpolizeilichen Einsatzes festgenommen. Bitte gehen Sie weiter!«
Die Aufforderung verfehlte, wie die meisten unter Waffeneinsatz vorgebrachten, ihre Wirkung nicht. Murrend begann sich der Mob zu zerstreuen. Ohne weitere Gegenwehr konnten die Wachmänner den bewusstlosen Gefangenen in eine Droschke laden, die sich unter lautem Peitschengeknall entfernte.
General Glaxiko, von dem kurzen Kontrollverlust geringfügig aus der Fassung gebracht, fuhr sich mit der Hand ordnend über das thaumaturgisch frisierte Haar, als könne er so die Scharte auswetzen, die sein Selbstwertgefühl erlitten hatte.
Hippolit beobachtete unterdessen, wie die Soldaten ihre schrotgefüllten Rohre zurück an die Koppeln hängten.
Vor wenigen Jahren noch hatte es bei der Stadtwache von Nophelet nicht viele Versierte gegeben, die in der Lage gewesen wären, einen Beschleuniger zu wirken und damit eine Handvoll Schrot binnen eines Sekundenbruchteils mit durchaus tödlicher Geschwindigkeit abzufeuern. Doch offenbar hatte der stetige Anstieg von Kriminaldelikten, bei denen noch weitaus perfidere thaumaturgische Angriffstechniken zur Anwendung kamen, für ein gewisses Umdenken bei der Stadtwache gesorgt.
»Was hat der Mann vorhin gemeint, als er sagte, das Blut sei ›für Unja‹ gewesen?«, wandte sich Hippolit wieder an Glaxiko.
»Sie haben es also mitbekommen?«, freute sich der General und strahlte übers ganze Gesicht. »Der Mann hat gestanden, jawohl! Er hat den Raub des Elbenbluts gestanden, vor Zeugen. Nicht einmal Ihr Herr Geheimrat könnte nun noch in Abrede stellen, dass uns hier ein kriminologischer Fang von denkwürdiger …«
»Vorsicht da draußen!«, gellte auf einmal eine Stimme aus dem schattigen Innern des Hauses. »Wir kommen jetzt mit dem Riesenbiest!«
Interessiert beobachteten Hippolit und Jorge, wie noch einmal drei Männer in städtischer Uniform in der Tür erschienen. Zwischen sich trugen sie einen länglichen, sich windenden Schemen, den Hippolit im ersten Moment für einen weiteren Gefangenen hielt. General Glaxikos Reaktion jedoch ließ erahnen, dass es sich um etwas anderes handeln musste.
Der Anführer der Stadtwache stieß einen kieksenden, nicht sonderlich männlichen Schrei aus und hüpfte wie ein Waschweib auf der Flucht vor einer Maus die Stufen hinunter. Bevor Jorge es sich versah, war der schlaksige General hinter seiner breiten Gestalt in Deckung gegangen.
Sekunden später wurde klar, wovor Glaxiko geflohen war. Im Griff der Soldaten, deren Gesichter vor Ekel und Anstrengung verzerrt waren, wand sich eine riesige Schlange! Sie war massig wie ein ausgewachsener Mann, ungefähr zweimal so lang und von knallroter Farbe. Ihre winzigen, ebenmäßigen Schuppen glänzten, offenbar sonderte das Tier beständig glitschigen Schleim ab, der den Männern das Tragen zusätzlich erschwerte.
Der widerlichste Teil der Kreatur war jedoch eindeutig ihr Kopf. Dort, wo bei einem normalen Reptil ein länglicher Schädel mit ausdruckslosen Knopfaugen und einem muskulösen, zahnbewehrten Kiefer gesessen hätte, befand sich lediglich ein riesiger, kreisrunder Saugnapf, groß wie ein Suppenteller. Konvulsivisch zog sich das lappige Rund aus Haut und Schleim zusammen und weitete sich wieder, zog sich zusammen und weitete sich, so als dürste das Tier verzweifelt nach irgendetwas.
»Und das wäre dann wohl Unja, wie?«, gluckste Jorge und rammte dem General, der sich noch immer hinter ihm verbarg, jovial einen Ellenbogen in die Seite. Als die Männer mit ihrer glitschigen Last an ihm vorübertaumelten, streckte er den Arm aus und fuhr mit dem Zeigefinger über die feuchte Haut des Tiers. Als er ihn ins Sonnenlicht hob, leuchtete seine Fingerkuppe blutig rot.
»Ein tribekanischer Saugwurm«, murmelte Hippolit konsterniert. »Ich hätte nicht damit gerechnet, ein Exemplar so weit nördlich des Flusses Vassim anzutreffen. Ist die Haltung dieser Spezies in privaten Wohnstätten nicht untersagt?«
»Aber ja! Benktram hatte die Bestie in seinem Keller untergebracht, dieser Irre!« Mit einem prüfenden Blick über Jorges Schulter vergewisserte sich Glaxiko, dass seine Männer mit dem Tier die Droschken erreicht hatten. »Er hat ihr dort unten eine eigene Kammer eingerichtet, mit einer thaumaturgischen
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