Der Elfenpakt
sollte.
Plötzlich sah Blue vor sich, wie ihr Leben hätte verlaufen können. Wenn ihr Vater noch leben würde oder Pyrgus den Thron akzeptiert hätte, wären ihr all diese Sorgen, die sie nun hatte, erspart geblieben. Dann hätte sie Zeit für die Dinge, die ihr wirklich Freude bereiteten. Verflixt noch mal, sie war ein Mädchen. Sie hätte sich mit Kleidern und Musik beschäftigen und etwas von der Welt sehen sollen. Sich Liebesdingen widmen. An jemanden denken … an jemanden wie Henry. Es war schrecklich, Entscheidungen für die Zukunft des Reiches zu treffen, bei denen es um Leben und Tod ging.
Schrecklich oder nicht: Sie hatte das Leben, das sie nun führte, selbst gewählt.
Nach einer Weile sagte sie: »Meine Herren Generäle, ich danke Ihnen. Ich möchte die Angelegenheit mit meinen politischen Beratern besprechen. Wenn eine Entscheidung gefallen ist, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Ohne die Miene auch nur im Geringsten zu verziehen, fügte sie hinzu: »Bis dahin bitte ich Sie, alle Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Yammeth Cretch zu treffen.«
ACHTZEHN
A ls die drei alten Generäle gegangen waren, sagte Fogarty: »Das heißt also, dass du der Geschichte von dem Pakt nicht traust?« Er lächelte ein bisschen steif. »Offensichtlich nicht.«
Blue seufzte. In Anwesenheit der Generäle musste bei einer Besprechung stets die Form gewahrt werden. Nun war sie unter Freunden und fühlte sich gleich viel entspannter. Sie sah Torhüter Fogarty an und schüttelte den Kopf. »Ich halte es für eine Finte. Jedenfalls müssen wir damit rechnen.« Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie, wie Pyrgus eine der Orchideen untersuchte. Er sah aus wie ihr Vater, wenn er sich früher um die Pflanzen gekümmert hatte.
»Was, denkst du, hat er vor?«, fragte Fogarty.
Blue hatte keine Ahnung. Sie war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt irgendeinen Plan verfolgte. Sie wusste nur, dass sie Angst vor einer Fehlentscheidung hatte. Diese krankhafte Furcht war seit dem Tag ihrer Krönung ihr ständiger Begleiter gewesen.
»Zeit schinden«, antwortete Blue und ließ es überzeugter klingen, als sie sich wirklich fühlte. »Ich denke immer noch, dass er wahrscheinlich angreifen wird, bevor aus mir eine wirklich erfahrene Herrscherin des Elfenreiches geworden ist. Aber vielleicht ist er noch nicht so weit. Entweder das, oder er will, dass wir nicht mehr auf der Hut sind. Wenn wir uns inmitten von Friedensverhandlungen befänden, wäre ein Krieg das Letzte, womit wir rechnen würden.«
»Das würde unser Endolg doch auf der Stelle merken«, sagte Fogarty.
»Endolgs könnte er ja ablehnen«, sagte Blue.
»Aber würde das nicht Misstrauen erregen?«
»Ja, diesen Fall hatten wir schon mal.« So weit hatte Blue sich immerhin mit der Politik und Geschichte ihres Reiches beschäftigt: eine endlose, schreckliche Abfolge von Verrat, Lug und Trug. Sie warf Fogarty einen nüchternen Blick zu. »Tatsache ist jedenfalls, dass die meisten Verträge ohne Endolgs verhandelt wurden.«
»Ehrlich gesagt«, mischte sich Pyrgus ein, »habe ich darüber nachgedacht und glaube nicht, dass ein Endolg eine Garantie wäre. General Ovard sagte doch, dass die einzelnen Punkte eines solchen Vertrags von Unterhändlern ausgearbeitet werden. Bestimmt ist es auch so. Und wenn Hairstreaks Leute selber daran glauben, dass er es ehrlich meint, würde kein Endolg auch nur den geringsten Verdacht schöpfen.«
»Aber dann bliebe doch immer noch die offizielle Unterzeichnung«, sagte Fogarty.
»Zu diesem Zeitpunkt könnte es bereits zu spät sein.« Pyrgus schaute von einem zum anderen. »Wirklich, Endolgs sind keine Lösung.«
»Aber es gibt da noch etwas anderes, nicht wahr, Liebes?«, sagte Madame Cardui plötzlich. Pyrgus sah sie an, aber ihr Blick ruhte auf Blue.
Wahrscheinlich war es nun an der Zeit, alles zu erzählen. Blue pflegte sonst immer alle Angelegenheiten allein zu regeln, schon früher als kleines Mädchen. Doch die Zeiten hatten sich gewandelt. Inzwischen trug sie die Verantwortung für das gesamte Reich und musste damit beginnen, andere in ihre Überlegungen einzubeziehen. Sie lächelte ein wenig verlegen.
»Stimmt … Also. Ich war beim Orakel.«
»Aha«, sagte Madame Cardui.
Es entstand eine lange Pause. »Was denn für ein Orakel?«, fragte Pyrgus schließlich.
»Blue war beim Gewürzmeister«, sagte Madame Cardui.
»Wer ist der Gewürzmeister?«, fragte Fogarty.
»Welchen Gott hast du
Weitere Kostenlose Bücher