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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geehrt.«
    Miriamel lachte ein wenig wild. »Nein, es würde gehen! Solange du die Kapuze aufbehieltest, würde dich niemand zweimal ansehen.«
    »Und was sollten wir mit Simons Pferd tun – und mit Qantaqa?«
    »Vielleicht könnten wir sie mitnehmen.« Sie wollte nicht aufgeben. »Vielleicht würde Qantaqa als Hund durchgehen.«
    Jetzt lachte auch Binabik, ein unvermitteltes, vergnügtes Prusten. »Eine Sache ist es, den Menschen weiszumachen, ein kleiner Mann wie ich sei ein Kind. Aber wenn du nicht auch sie in einen Mantel hüllst, wird keiner daran glauben, dass meine Gefährtin etwas anderes ist als ein großer Wolf aus der Weißen Öde.«
    Miriamel betrachtete Qantaqas zottige, graue Masse und nickte traurig. »Ich weiß. Es war nur ein Gedanke.«
    Der Troll lächelte. »Aber der Rest deines Einfalls ist gut. Ich denke nur, dass vorher noch ein paar Dinge zu vollbringen sind.«
     
    Sie beendeten ihr Werk in einem Lindengehölz am Rande eines Brachfeldes gleich westlich der Hauptstraße, wenige Achtelmeilen vor dem nördlichsten Stadttor von Erchester.
    »Was hast du in dieses Bienenwachs getan, Binabik?«, erkundigte sich Miriamel mit finsterer Miene und tastete mit der Zunge daran herum. »Es schmeckt furchtbar.«
    »Man soll es ja auch nicht berühren oder kosten, weil es sonst abgeht. Und die Antwort ist, nur ein wenig dunklen Schlamm, wegen der Farbe.«
    »Sieht es wirklich so aus, als fehlten mir Zähne?«
    Binabik legte den Kopf schief und musterte sie prüfend. »Ja. Du erscheinst angenehm heruntergekommen und unprinzessinnenhaft.« Miriamel fuhr sich mit der Hand durch das schmutzverklebte Haar und strich vorsichtig über ihr lehmverschmiertes Gesicht. Ichmuss ja aussehen wie eine Vogelscheuche. Irgendwie gefiel ihr die Sache. Es ist wie ein Spiel, wie ein Usires-Spiel. Ich kann in jede andere Haut schlüpfen.
    Aber natürlich war es kein Spiel. Ihr stand Simons Gesicht vor Augen, das ihr jäh und schmerzhaft ins Gedächtnis zurückrief, was sie tat und welche Gefahren damit verbunden waren – und was sie alles schon verloren hatte, um so weit zu kommen.
    Aber es geht darum, dem Leid, dem Töten ein Ende zu machen, ermahnte sie sich. Und meinen Vater wieder zur Vernunft zu bringen.
    Sie sah auf. »Ich denke, ich bin bereit.«
    Der Troll nickte und wandte sich zu Qantaqa. Er streichelte ihren dicken Kopf und führte die Wölfin dann ein kleines Stück beiseite. Dort kauerte er sich neben ihr nieder und grub das Gesicht tief in ihr Nackenfell, damit er ihr ins Ohr flüstern konnte. Es war eine lange Erklärung, von der Miriamel nur das kehlige Klicken der Trollsprache hören konnte. Qantaqa drehte den Kopf und winselte leise, rührte sich aber nicht vom Fleck. Als Binabik geendet hatte, streichelte er sie nochmals und berührte ihre Stirn mit der seinen.
    »Sie wird Simons Pferd nicht weit fortlaufen lassen«, sagte er. »Nun ist es Zeit für uns aufzubrechen.«
    Miriamel schwang sich in den Sattel und beugte sich dann herunter, um dem kleinen Mann die Hand entgegenzustrecken. Er zog sich hoch und setzte sich vor sie. Sie gab dem Pferd einen leichten Rippenstoß.
    Als sie zurückblickte, weidete Heimfinder am Fuß eines vom Regen triefenden Baumes. Qantaqa saß mit gespitzten Ohren aufgerichtet da und folgte mit gelben Augen dem Weg ihres Herrn.
     
    Die Straße nach Erchester war ein einziger Schlammpfuhl, aus dem sich die Hufe der Pferde nur schmatzend und widerwillig lösten.
    Das Stadttor erwies sich als nicht verriegelt. Ein leichter Stoß Miriamels genügte, um das Portal zu öffnen. Es knarrte sanft in den Angeln. Sie watete durch die morastigen Wagenspuren zurück und stieg wieder auf. Dann ritten sie zwischen den hohen Wachtürmen hindurch. Vom klumpiggrauen Himmel rieselte der Regen.
    »Es sind keine Wächter hier«, flüsterte sie.
    »Es ist überhaupt niemand hier, soweit ich sehen kann«, gab der Troll leise zurück.
    Gleich hinter dem Tor erstreckte sich der Platz der Schlachten, eine weite, kopfsteingepflasterte Fläche mit einem Anger in der Mitte, Schauplatz zahlloser Umzüge und Festveranstaltungen. Er war gähnend leer. Nur an der Einmündung einer Gasse wühlten ein paar bis auf die Knochen abgemagerte Hunde in Abfällen. Der Platz sah aus, als hätte ihn schon lange niemand mehr betreten. Große Pfützen kräuselten sich im Regen, das wenige Grün in der Mitte des Platzes war nur noch ein öder, schlammiger Fleck.
    Das Echo der Pferdehufe erregte die Aufmerksamkeit der Hunde. Mit

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