Der Engelsturm
komm, wir verschwenden unsere Zeit.« Sie nahm das Schwert, zog es aus der Scheide und ließ das Leder auf den feuchten Boden fallen. Ihre Augen blitzten herausfordernd.
Simon sah sie eindringlich an. »Erstens geht man nicht so mit der Scheide um.« Er hob sie auf und reichte sie ihr. »Steckt die Klinge wieder hinein und schnallt den Schwertgurt um.«
Miriamel machte ein finsteres Gesicht. »Ich weiß, wie man einen Gürtel umschnallt.«
»Eins nach dem andern«, erwiderte Simon fest. »Wollt Ihr lernen oder nicht?«
Der Morgen verging und mit ihm Simons Ärger darüber, dass er ein Mädchen im Schwertkampf unterrichten sollte. Miriamel war mit verbissenem Eifer bei der Sache. Sie stellte unzählige Fragen,von denen Simon viele nicht beantworten konnte, so sehr er sich auch den Kopf zerbrach und sich an alles zu erinnern versuchte, das Haestan, Sludig und Camaris ihm eingetrichtert hatten. Es fiel ihm schwer zuzugeben, dass er, ein Ritter, etwas nicht wusste. Aber nach ein paar kurzen, unerfreulichen Auseinandersetzungen schluckte er seinen Stolz hinunter und erklärte freimütig, keine Ahnung zu haben, warum ein Schwertgriff nur an zwei Seiten vorstand und nicht überall, und dass es eben so war. Mit dieser Antwort schien Miriamel zufriedener zu sein als mit seiner vorherigen Geheimnistuerei, und der Rest der Zeit verging schneller und angenehmer.
Für ihre Größe war Miriamel erstaunlich kräftig, worüber sich Simon freilich nicht mehr wunderte, als er sich überlegte, was sie in letzter Zeit alles durchgestanden hatte. Sie war auch schnell und besaß einen guten Gleichgewichtssinn, neigte allerdings dazu, sich zu weit vorzubeugen, eine Angewohnheit, die in einem wirklichen Kampf tödlich sein konnte, denn fast jeder Gegner würde sie an Körperlänge übertreffen und damit über größere Reichweite verfügen. Insgesamt war Simon beeindruckt. Er hatte das Gefühl, dass er ihr schon bald nichts Neues mehr bieten könnte und sie dann nur noch Übung und immer wieder Übung brauchte. Er war sogar recht froh, dass sie mit langen Stöcken und nicht mit Klingen fochten, denn sie hatte ihm im Lauf des Morgens schon ein paar böse Hiebe versetzt.
Nachdem sie eine lange Pause zum Wassertrinken und Ausruhen eingeschoben hatten, tauschten sie die Rollen. Miriamel zeigte Simon, wie man einen Bogen behandelte und darauf achtete, die Sehne warm und trocken zu halten. Simon lächelte über seine eigene Ungeduld. So wie Miriamel sich nur ungern seine Ausführungen über das Wesen des Schwertkampfes angehört hatte – größtenteils wortwörtlich von Camaris übernommen –, drängte es ihn jetzt, ihr zu zeigen, was er mit dem Bogen in der Hand fertigbrachte. Aber davon wollte sie nichts wissen, und so lernte er den Rest des Nachmittags das richtige Spannen. Als die Schatten länger wurden, waren Simons Finger rot und zerschunden. Wenn er wirklich schießen wollte, würde er sich Handschuhe besorgen müssen, wie Miriamel sie trug.
Sie nahmen eine Mahlzeit aus Brot, einer Zwiebel und ein wenig Dörrfleisch ein und sattelten dann die Pferde.
»Euer Pferd braucht einen Namen«, meinte Simon, als er Heimfinders Bauchgurt anzog. »Camaris sagt, dass das Pferd wie ein Stück von einem selbst ist, zugleich aber ein Geschöpf Gottes.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
Sie sahen sich ein letztes Mal auf dem Lagerplatz um, vergewisserten sich, dass sie keine Spuren hinterlassen hatten – die Asche des Feuers war vergraben, das niedergedrückte Gras mit einem langen Ast aufgerichtet –, und ritten hinaus in den schwindenden Tag.
»Es ist der alte Wald«, sagte Simon erfreut und spähte ins erste Morgenlicht. »Da drüben, die dunkle Linie.«
»Ich sehe sie.« Miriamel lenkte ihr Pferd von der Straße, genau nach Norden. »Wir wollen so weit darauf zureiten, wie wir heute kommen – ich breche zwar meine eigene Regel, nicht bei Tag zu reiten, aber ich werde mich sicherer fühlen, wenn wir erst dort sind.«
»Wollen wir denn nicht zurück zum Sesuad’ra?«
»Nein. Wir gehen in den Aldheorte – eine Zeitlang.«
»In den Wald? Warum?«
Miriamel sah starr geradeaus. Sie hatte die Kapuze zurückgeworfen. Ihr Haar leuchtete in der Sonne. »Weil mein Onkel vielleicht nach uns suchen lässt. Im Wald kann man uns nicht finden.«
Simon erinnerte sich nur allzu gut an seine Erlebnisse in dem großen Wald. Es waren nur sehr wenig erfreuliche darunter.
»Aber es dauert ewig, bis man ihn durchquert hat.«
»Wir werden
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