Der Erbe Dschainas
einem der Submonitore, die das Schiff zeigten, sah Thorn, dass sich überall auf dem Rumpf Eis bildete und dann wieder in dünnen flachen Flocken abblätterte. Über den Bergen kamen sie aus der Wolke zum Vorschein: die steinernen Eingeweide des Planeten ragten aus den Ebenen hervor und schoben sich in engen Falten, verdrehten Spitzen und Geröllhängen zusammen; die weißen Narben von Flüssen schnitten durch dunkle Täler, und Wasserfälle stürzten sich von den Gipfeln herab. Jarvellis klappte sich jetzt das Visier vor die Augen und nahm die komplexe Steuerknüppelanlage vor ihr fest in die Hand. Offensichtlich machte es ihr viel Spaß, das Schiff zu lenken, denn die KI hätte es auch tun können, vielleicht sogar besser. Wenig später brausten sie ein Flusstal entlang, und graue Steinwände ragten beiderseits über ihnen auf, als inspizierten sie diesen frechen Eindringling in ihrer Welt.
»Hast du schon das Funkfeuer entdeckt?«, fragte Stanton.
»Seit einer Stunde«, antwortete sie. »Obwohl uns bislang niemand anspricht.«
Die Lyric II wurde langsamer, um eine Kurve ins Tal zu schaffen, und ging tiefer. Thorn sah, wie Vegetation durch den Wind ihres Vorbeiflugs flachgedrückt wurde und Papierfragmente die Luft hinter ihr trübten. Am Talende breitete sich ein kleiner See aus, an drei Seiten von steilen Hängen umgeben. Jarvellis landete das Schiff an seinem steinigen Ufer neben einer Klippe, die durch den Einsturz eines der Berghänge entstanden war. Als Landeplatz wählte sie eine freie Fläche zwischen den Felsbrocken, die einmal Bestandteil dieses Hangs gewesen waren. Thorn hörte hydraulische Anlagen arbeiten, als die Lyric II ihre Landebeine ausfuhr. Am unteren Rand des Hauptbildschirms tauchten sechs Fenster auf, von denen jedes eine der sechs Landestützen mit ihren jeweils vier Zehen zeigte. Fünf Stützen kamen flach am Ufer zu Ruhe, während eines schräg an einem kleinen Felsbrocken aufsetzte, und Thorn verfolgte amüsiert, wie der behinderte Fuß den Felsen scheinbar verärgert zur Seite stieß, ehe er sich selbst fest auf den Boden pflanzte – wie es schien, steuerte die KI weiterhin einige Funktionen.
Die Manövertriebwerke schalteten ab, und diverse Motoren und Generatoren im ganzen Schiff liefen allmählich aus. Thorn hörte das Knacken abkühlenden Metalls und gelegentlich ein lautes Knallen oder zischendes Knirschen, während sich das Gewicht setzte. Mit Hilfe eines Trackballs rief Jarvellis ein Bild von der Umgebung nach dem anderen ab, was den Eindruck erweckte, als führe eine einzelne Kamera langsam rings um das ganze Fahrzeug. Kurz stoppte sie an einem Bild, das einen der teilweise im Wasser liegenden Felsbrocken zeigte; dort hockte eine große insektenhafte Kreatur und hielt den Kopf, der an den einer Gottesanbeterin erinnerte, in Richtung des Schiffs geneigt. Sie schaufelte sich mit den Mandibeln etwas ins Maul, das sich noch schlängelte – ob es das nun ohne Zustimmung des Insektenwesens tat, oder ohne bei diesem erkennbare Aufmerksamkeit zu finden.
»Harmlos«, sagte Stanton, »solange man nicht Lust bekommt, eine Runde schwimmen zu gehen.«
Einen Augenblick später richtete sich die schlangenartige Kreatur auf Reihen von Tausendfüßlerbeinen vom Felsen auf und tauchte mit einer eleganten Bewegung im Wasser unter. Jarvellis schnaubte und setzte ihre Kontrollrunde fort, bis sie wieder das ursprüngliche Bild aufgerufen hatte.
»Man sollte eigentlich denken, dass sie uns hier empfangen«, sagte sie.
»Wir haben ihnen eine Zeitspanne von zwei Monaten genannt«, wandte Stanton ein. »Sie können nicht so lange im Freien warten, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu wecken – und damit meine ich nicht nur die Theokratie.«
»Schnatterenten, Heroynes und Kapuzler?«, fragte Thorn.
Stanton schüttelte den Kopf. »Man trifft in diesen Bergen nicht allzu viele Heroynes oder Schnatterenten an. Welsarane und Kapuzler bilden das größte Problem, und was die Kapuzler angeht, so könnte jede für die Lösung dieses Problems ausreichend schwere Waffe die Theokratie alarmieren.«
»Schwer zu töten?« Thorns Neugier war geweckt.
»Hab nie selbst einen gesehen, aber man hat mir gesagt, dass mindestens eine APW oder ein Raketenwerfer nötig ist, um den Job zu erledigen. Das Chitin dieser Kreaturen ist so etwas wie eine Kohlenstoffverbindung, und sie bestehen überwiegend aus dieser Substanz und aus Muskelfasern von der Dichte uralten Holzes. Kleinere Waffen erzeugen nur einen
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