Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
vorgefunden zu haben, weil er sich im Vollrausch die Schlagadern aufgeschlitzt hatte.
„ Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir ernsthaft miteinander reden“, seufzte Suse, der man ansah, wie widerwillig sie dieser Notwendigkeit nachkommen würde. „Vorher allerdings werde ich uns einen Kaffee kochen.“
„Will kein’.“
Aber Suse wäre nicht die Frau gewesen, die es unerschrocken und erfolgreich sogar mit einem Matthias Clausing aufgenommen hatte, wenn sie sich von diesem halbherzigen Protest hätte aufhalten lassen. Mit einer Kanne Kaffee, schwarz wie die Nacht und dermaßen stark, dass er Eisen hätte verbiegen können, kam sie wenig später ins Wohnzimmer zurück und schenkte ihnen beiden von dem Gebräu ein.
„Drei Stück Zucker für dich“, sagte sie, ohne eine Antwort von Ean zu erwarten.
Sie ging vor ihm in die Hocke und nahm seine Rechte zwischen ihre Hände. „Ean, bitte, so kannst du nicht weitermachen, wenn du dich über kurz oder lang nicht umbringen willst. Tu uns das nicht an.“
„ Hasss’ du denn immer noch nich’ bemerkt, dass ich längsss’ tot bin? Tot wie Betty Jane. Und meine Babys. Wie Mat. Daid und Sinéad. Alle tot. Alle! Verdammt!“
„ Nicht alle. Bríd lebt, Máire und Fearghais und wir auf Sean Garraí – wir sind alle noch hier und brauchen dich.“
„ Betty Jane war mein Leben. Ohne sie hat ’s keinen Sinn.“
S usanne hatte aus nächster Nähe miterlebt, was aus dem stets zu Scherzen aufgelegten, fröhlichen Karottenkopf Ean geworden war, nachdem der garda Ronan McCauley vor ihrer Tür gestanden hatte.
„Du musst mitkommen“, hatte der damals leise gesagt und seine Hand auf Eans Schulter gelegt. „Es hat einen Unfall gegeben.“
Sie hatte daneben gestanden und in Ronans leichenblassem Gesicht lesen können, was er eigentlich hatte sagen wollen.
Die Tage danach verschwammen in einem unheilvollen Nebel. Wie sehr hatte er Betty Jane geliebt! Was selbstverständlich kein Wunder war, denn auch ihr war die junge Frau von der ersten Sekunde an sympathisch gewesen, als sie sich bei einem céilí vor vielen Jahren in Dermot Nolan’s Pub kennengelernt hatten. Alle hatten sie geliebt. Sie war das herzlichste und freundlichste und friedlichste Wesen auf Erden gewesen.
A ls Betty Jane und die Jungs starben, wäre Ean ihnen wahrscheinlich gefolgt, wenn Bríd nicht gewesen wäre und Matthias, der seinen Freund jeden Morgen unbarmherzig zur Arbeit antrieb, selbst wenn sich Ean kaum auf den Beinen halten konnte. Stundenlang hatte der Graf mit ihm geredet, ihm zugehört und ihn tröstend in die Arme genommen. Trotzdem hatten sie ihn nicht davon abhalten können, sich beinahe selbst ins Grab zu bringen. Seit jenem Tag trank Ean zu viel und rauchte wie ein Schlot, er schlief und aß kaum noch etwas, weil er lange Zeit an nichts anderes denken konnte, als an den Mörder seiner Frau und Söhne. Er hatte nie auch nur in Betracht gezogen, es könnte ein Unfall gewesen sein.
„ Betty Jane würde nicht wollen, dass du dein Leben wegwirfst und dich vor deinen Freunden verschließt. Natürlich würde sie sich wünschen, dass du an sie denkst und dich an die glücklichen Zeiten mit ihr erinnerst, aber nicht – niemals , hörst du? –, dass du den Rest deines Lebens um sie trauerst. Und sie würde dich bitten, nicht zuzulassen, dass dein Hass dich zerstört.“
„Das verssschehsss’ du nicht!“
„ Ach ja?“ Sie befahl sich, den stechenden Schmerz in ihrer Brust zu ignorieren und ungeachtet seiner unbedachten Worte ruhig zu bleiben. Langsam atmete sie ein und wieder aus und schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln.
„ Du meinst also, ich hätte noch nie einen Menschen verloren, den ich geliebt habe? Glaubst du, ich hätte nicht ebenfalls diesen Schmerz gefühlt, der dir jeden Atemzug und jeden Herzschlag zur Qual werden lässt? Glaubst du wirklich, du bist allein mit deiner Trauer, Ean?“
„ Sorry .“
„Ean, bitte, lass sie los und dann wende dich den Lebenden zu. Hör auf, einem Phantom hinterher zu jagen. Alicia und du … ich weiß nicht genau, was ihr tut, wenn ihr stundenlang im Internet surft oder miteinander ausreitet, weil ihr ungestört sein wollt, aber ich denke nicht, dass es richtig ist. Du solltest akzeptieren, dass es ein Unfall war.“
„ Ein Unfall? Es akzeptieren? Es war nicht nur ein Unfall! Bloß weil du niemanden für Mats Tod verantwortlich machen willst und Adrians Mörder nicht gefunden wurden, glaubst du, ich hätte kein
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