Der Erdrutsch (German Edition)
Ergebnis erstaunte ihn:
Bis in die 1970er Jahre schien sie ihre Texte unter dem Namen Zobel
veröffentlicht zu haben, das war wohl ihr Mädchenname, dann hatte
sie vermutlich geheiratet und tauchte nur noch als Elsbeth Hochheim
auf. Bis Mitte der 80er Jahre. Dann hörten die Artikel von ihr auf.
Schlagartig. Erst 2002 erschien der Name Elsbeth König wieder in
journalistischen Artikeln. Es gab eine Lücke von etwa fünfzehn
Jahren, in der sie nichts publiziert hatte. Was war in dieser Zeit
passiert? Hatte sie einen anderen Job gehabt? Johan konnte sich das
nur schwer vorstellen. War es nicht auch sehr ungewöhnlich für
einen Menschen, der Artikel und Bücher unter seinem Namen
veröffentlichte, dass er den Namen noch einmal wechselte? Nach ein
paar Jahren in dem Geschäft, so hatte er gedacht, würde man seinen
Namen nicht mehr abgeben, denn der Name war ja das Kapital. Es sei
denn, es hatte gewichtige Gründe dafür gegeben, den Namen zu
wechseln.
Bevor er sich darum weiter Gedanken machen konnte kam seine Mutter in
die Wohnung, beladen mit Taschen und Tüten. Erschöpft ließ sie
sich auf Johans Bett fallen. Sie fragte ihn, wie sein Tag war, doch
ehe er antworten konnte, hatte sie entdeckt, dass er am Computer saß.
„ Warum
gehst du nicht raus? Kaum sind wir wieder hier, sitzt du nur noch vor
dem Computer. So findest du nie Freunde. Mach das Ding jetzt aus.
Außerdem gibt’s gleich Essen.“ Sie erhob sich wieder vom Bett
und machte sich an den Tüten zu schaffen.
„ Ach
Mama, ich recherchiere hier gerade etwas. Eine halbe Stunde noch.
Bitte!“ Johan wandte sich wieder dem Computer zu, um weiter zu
machen.
„ Nein,
du hilfst mir jetzt beim Einräumen der Lebensmittel.“
Ihr Tonfall ließ keine Widerrede zu. Sie nahm einige der Tüten, mit
denen sie in die Küche ging. Johan machte den Computer aus, folgte
ihr, wurde aber sofort wieder nach draußen geschickt, um weitere
Einkäufe aus dem Auto zu holen. Grimmig machte er sich an die
Arbeit.
Erst nach dem Essen kam er wieder dazu, sich für eine Weile an den
Computer zu setzen. Gerade als er eine Mail an Paul schreiben wollte,
um ihn über den neuesten Stand der Recherchen zu unterrichten, gab
der Computer einen Warnton von sich: Paul fragte ihn über Skype um
einen Kontakt an. Johan gab ihn frei, woraufhin sich Paul sofort
meldete. Plötzlich hatte er auch sein Gesicht groß auf dem
Bildschirm. Johan berichtet kurz von seinen Ergebnissen, dann
verabredeten sie sich für den späteren Abend, weil er noch in die
Bibliothek gehen wollte.
28. Kapitel
Paul war ein bisschen enttäuscht, weil er gehofft hatte, etwas
länger mit Johan sprechen zu können. Er wollte ihm von der Reise
erzählen. Er überlegte, ob er Marcel oder jemand anderen anrufen
sollte, aber irgendwie hatte er überhaupt keine Lust dazu. Also zog
er sich seine Schuhe an, nahm sich die Jacke und ging nach draußen.
Eine Weile schlenderte er durch das Viertel, dachte darüber nach,
wann das Fußballtraining wieder anfing, ob er sich eine Zigarette
anzünden sollte. Nach und nach kam er aus der edlen Gegend mit den
Villen heraus, in ein Stadtviertel, in dem noch immer frei stehende
Häuser standen, mit kleinen Vorgärten, schöner gepflegt als bei
seinen Eltern, dafür aber auch von der Straße einsehbar. Nicht
abgetrennt durch eine drei Meter hohe Hecke. Hier fühlte er sich
freier. Da das Wetter aufgeklart hatte, wurde in vielen Vorgärten
gearbeitet. Nachbarn standen zum Schwatz zusammen, sie pflanzten
Blumen, schnitten Hecken und mähten den Rasen. Über allem lag der
Duft frischer Erde. Der Frühling, der vor ihrer Abfahrt nach
Südtirol noch weit weg schien, hielt Einzug. Mit einem Mal sprossen
die Blumen aus dem Boden. Ein Glücksgefühl erfasste Paul. Er bog um
eine Ecke in eine neue Straße ein, war tief in Gedanken versunken,
so dass er den Jungen, der in dem einen Garten das Gras zusammen
harkte, zunächst nicht erkannte. Erst als er nur noch wenige Meter
von ihm entfernt war, wurde Paul sich bewusst, dass ihn der Junge
beobachtete. Es war Ingo, der ihm skeptisch entgegen sah.
Kurz vor dem Urlaub hatte er Ingo noch beinahe verprügelt. Jetzt war
ihm das mit einem Mal unangenehm. Der Junge erinnerte ihn an Johan.
Vielleicht war er ja gar nicht so ein Streber, wie er bislang gedacht
hatte.
Paul bliebt stehen, wusste nicht recht was er tun sollte, reagierte
dann aber reflexartig: Er sagte einfach „Hallo“. Ingo war
überrascht, antwortete zunächst nicht. Paul trat auf ihn zu.
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