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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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plötzlich und grundlos, er konnte ihn nicht begreifen. Nichts konnte er mehr begreifen.
    Das Boot schaukelte auf den Wellen, das Segel hing immer noch schlaff am Mast. Die Flut hatte eingesetzt, und langsam wurde die Weitblick mit der Breitseite von den Wellen in kleinen Stößen immer näher und näher gegen die ferne weiße Linie der Bucht getrieben.
    »Weitblick«, sagte der Magier schmeichelnd und fügte ein paar Worte in der Ursprache hinzu. Das Boot wandte sich sofort um und glitt elegant hinaus aufs offene Meer, aus den grünen Armen der Bucht hinaus in die glühende Mittagshitze.
    Aber noch keine Stunde war vergangen, und ganz allmählich verringerte sich die Geschwindigkeit des Bootes, und wiederum hing das Segel schlaff am Mast. Arren blickte hinter sich und sah seinen Gefährten wie zuvor ausgestreckt liegen, aber sein Kopf war zurückgefallen, und seine Augen waren geschlossen.
    Ein krankhaftes, tiefes Grauen hatte von Arren Besitz ergriffen und lag lähmend auf ihm, es hielt seinen Körper und Geist wie mit feinen Fäden verschnürt und hinderte ihn am Handeln. Kein Mut stieg in ihm auf, und es fehlte ihm der Wille, gegen dieses Grauen anzukämpfen; er fühlte nur einen dumpfen Groll gegen sein Schicksal in sich.
    Er sollte das Boot hier, an der felsigen Küste eines Landes, dessen Einwohner Fremde angriffen, nicht einfach treiben lassen, das war ihm irgendwie klar, aber es galt ihm nicht viel. Was konnte er schon groß tun? Das Boot vielleicht nach Rok zurückrudern? Er war verloren, rettungslos verloren, hier, in der Weite des Westbereiches. Er könnte das Boot niemals wochenlang alleine zurücksegeln, bis er ein gastliches Ufer erreichen würde. Nur unter der Führung des Magiers war er dazu in der Lage, und Sperber war schwer verwundet und hilflos, genauso unerwartet und so grundlos, wie Sopli gestorben war. Sein Gesicht hatte sich verändert, seine Züge waren eingefallen, und er sah gelblich aus, vielleicht lag er im Sterben. Es kam Arren in den Sinn, ihn unter das Sonnendach zu ziehen, um ihn vor den Sonnenstrahlen zu schützen und ihm Wasser zu geben. Menschen, die viel Blut verloren haben, müssen trinken. Aber sie hatten schon tagelang das Wasser streng rationiert, das Faß war beinahe leer. Was machte das schon aus? Alles war gleichgültig geworden, nichts spielte mehr eine Rolle. Das Glück hatte sie verlassen.
    Stunden verstrichen; die Sonne schien erbarmungslos, und der graue Dunst der Hitze umgab ihn. Er bewegte sich nicht.
    Ein kühler Luftzug berührte seine Stirn. Er blickte auf. Es war Abend geworden. Die Sonne war verschwunden, der westliche Himmel war in ein mattes Rot gehüllt. Die Weitblick bewegte sich langsam, von einer leichten Brise aus dem Osten getrieben, und glitt an der steilen, bewaldeten Küste von Obehol entlang.
    Arren ging ins Heck des Schiffes und sah nach seinem Gefährten. Er machte ihm ein Lager unter dem Sonnendach und gab ihm Wasser zu trinken. Er tat alles hastig und vermied es, auf den Verband zu blikken, der dringend gewechselt werden mußte, denn die Wunde hatte nicht ganz zu bluten aufgehört. Sperber war zu erschöpft, um zu reden; selbst als er das Wasser begierig trank, fielen ihm die Augen zu, und er schlief wieder ein, seine Erschöpfung war größer als sein Durst. Er lag, ohne sich zu rühren, und als es dunkel geworden war und die Brise sich legte, trat kein magischer Wind an ihre Stelle, und das Boot schaukelte auf dem glatten, leicht sich hebenden und senkenden Wasser hin und her, ohne sich von der Stelle zu rühren. Aber die Berge rechts hoben sich jetzt dunkel gegen einen prachtvollen Sternenhimmel ab, und Arren ließ seinen Blick lange darauf ruhen. Die Sternbilder schienen ihm so vertraut, als ob er sie schon einmal gesehen hätte, sie sein ganzes Leben lang schon gekannt hätte.
    Als er sich zum Schlaf niederlegte, blickte er nach Süden, und dort, hoch am Himmel über dem glitzernden Meer, funkelte der Stern Gobardon. Darunter waren die beiden Sterne sichtbar, die ein Dreieck mit ihm bildeten, und später, auf einer geraden Linie, erschienen noch drei Sterne, die das Dreieck vergrößerten. Als die Nacht weiter fortgeschritten war, schlüpften zwei weitere Sterne über die flüssige, silbrig glänzende Fläche; sie waren so gelblich wie Gobardon, und an den Schenkeln des rechtwinkligen Dreiecks stehend verbreiterten sie seine Basis. Acht oder neun Sterne sollten insgesamt erscheinen, die einen Menschen oder die hardische Rune Agnen

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