Der Eroberer
besessen. Das wissen wir seit Jahren. Seit Jahren versuchen wir, gegen die bösen Kräfte in ihnen anzukämpfen. Leider vergeblich. Du hast selbst erfahren, wie Alexander von Ahriman beherrscht wird. Du mußt uns helfen!«
Simon sagte: »Ihr verhüllt Alexanders schlichten Wahnsinn mit dem Mantel übersinnlicher Spekulationen.«
Abaris schüttelte den Kopf und schwieg. Simon fuhr fort: »Ich kenne viele, denen Reichtum und Macht zu Kopf gestiegen sind … Alexander ist einer davon. Wenn er stirbt, leben seine guten Taten weiter; die schlechten dagegen geraten bald in Vergessenheit.«
»Du bist naiv, junger Freund. Auch Achilles glaubte, daß …« Abaris verstummte und biß sich auf die Lippen.
»Achilles? Er ist vor tausend Jahren gestorben. Woher willst du wissen, was er glaubte?«
Abaris wich seinem Blick aus. »Wissen kann ich es natürlich nicht.« Er verbarg mit der Hand die Augen.
»Du gibst mir Grund zu glauben, daß du wirklich der Abaris der Legende bist.« Simon lächelte. Sein Ausspruch war als Scherz gemeint, aber selbst ihm schien in diesem Moment einiges daran wahr zu sein.
Abaris sagte: »Kann ein Mensch tausend Jahre und mehr leben?«
»Nein«, sagte Simon, »nein.« Der fast wütende Ton seiner Antwort verriet Unsicherheit.
Draußen, in einem Palast in Babylon, wohnt das Böse, dachte er. Aber es war nicht, konnte nicht … durfte nicht übernatürlicher Art sein.
Abaris sagte: »Alexander regiert nun schon fast dreizehn Jahre. Unsere Orakel prophezeien, der Wendepunkt sei nach dreizehnjähriger Herrschaft erreicht. Wir fürchten also, daß Alexander und die durch ihn wirkenden Kräfte eine zügellose Tyrannei des Bösen in die Welt bringen … es sei denn, er wird daran gehindert. Doch die Aussicht hierfür ist gering.« »Ihr wollt, daß ich sie zu verbessern helfe. Ich lehne ab. Helfen kann ich nur, wenn ich euren Glauben teile … und das ist mir nicht möglich.«
Abaris schien zu akzeptieren. Als er nach einer Weile wieder sprach, klang seine Stimme entrückt, wie in Trance. »Ahriman … all die verschiedenen Ahrimans, die wir unter dem einen Namen fassen … hat vor vielen Jahren Olympias auserwählt. Er brauchte einen Körper, durch den er wirken konnte. Doch kein Sterblicher jener Zeit wollte seinen Zwecken dienen. Also ergriff er Besitz von Olympias, der Bedauernswerten. Philipp, der große, mißverstandene Mann, pilgerte regelmäßig zur Insel Samothrace, wo er eines Tages von Olympias aufgespürt wurde. Sie brauchte ihm nur einen Liebestrank einzuflößen. Philipp war leidenschaftlich für sie entbrannt. Sie bekamen einen Sohn … Alexander …«
Simon meinte gelangweilt: »Das ist nichts als Klatsch, den alte Marktweiber ausstreuen.«
»Ormuzd möge dich beschützen, solltest du jemals die Wahrheit erfahren.« Mehr sagte Abaris nicht.
Simon stand schwankend auf. »Wenn ich euch auf andere Weise meine Schuld abtragen kann … durch einen tatkräftigen Gefallen vielleicht … so bin ich gern bereit.«
Abaris dachte einen Augenblick lang nach. Dann zog er ein Schriftstück aus seinem Gewand. Er rollte es auseinander und überflog seltsam anmutende Lettern. Sie waren nicht Persisch, soviel erkannte Simon. Doch von welcher Sprache sie stammten, wußte er nicht.
Abaris überreichte Simon die Schriftrolle. »Würdest du für uns nach Pela reiten und eine Botschaft an unsere Brüder überbringen?«
»Gern«, sagte Simon, obwohl ihm die Gefahr einer Reise in die mazedonische Hauptstadt bewußt war.
»Sie leben im verborgenen«, erklärte Abaris, »aber wir sagen dir, wo du sie finden kannst. Wir geben dir auch Waffen mit, ein Pferd und die nötige Verkleidung.«
»Dafür wäre ich dankbar«, sagte Simon lächelnd.
»Du solltest noch einen Tag ausruhen, damit die Kräuter, die wir dir geben, ihre Wirkung tun … dann magst du aufbrechen. Die Stadt wirst du ohne Schwierigkeiten verlassen können. Unser Zauber schützt dich; außerdem kennen wir einen geheimen Weg nach draußen.«
Simon legte sich auf der Bank zurück. »Heilkräuter sind mir genehm«, sagte er, »und ein Mittel vielleicht, das mir zu traumlosem Schlaf verhilft.«
3. Kapitel
Die Höflinge standen vor der Tür und schauten sich an; sie wagten es nicht, den Raum zu betreten, aus dem lautes Stöhnen zu vernehmen war.
Ein kleiner, klug aussehender Mann in schmuckvoller Rüstung wandte sich an einen anderen mit empfindsamem, ruhigem Gesicht: »Warum liegt ihm so viel an der Festnahme des Thrakers,
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