Der Eroberer
freigelassen worden waren.
Zwei Wochen lang wurden Simon und Camilla auf diese Weise verfolgt. Ihnen war klar, daß sie oft hätten gefangen werden können. Ahriman trieb, wie angekündigt, sein Spiel mit ihnen.
Trotzdem feuerten sie weiter ihre Pferde an, bis sie den Bosporus erreichten, wo sie ein Boot mieteten und aufs offene Meer hinaussegelten.
Dort spukten neue Phantome um sie herum. Seeungeheuer, monströse Reptilien, Wesen mit glühenden Augen, die dicht unter der Wasseroberfläche tauchten und gelegentlich mit Krallenhänden nach dem Boot langten.
Simon erkannte schließlich, daß Ahriman sie mit all diesen Wesen nur quälen, zum Wahnsinn treiben wollte, damit sie sich seinem Willen letztlich ergaben.
Camilla schien an Widerstandskraft zu verlieren. Aber Simon hielt sie bei Verstand. Was auch die Schicksalsgöttinnen mit ihm vorhaben mochten, er wußte, was zu tun war; er hatte eine Aufgabe übernommen. Er weigerte sich, an etwas anderes zu denken, und seine Stärke half Camilla.
Simon wußte, das Böse würde bald erkennen, daß sein Wille nicht zu brechen war. Dann wären sie verloren, denn Ahriman hatte die Kraft, sie auszulöschen. Simon betete zu Ormuzd, an den er nun mit Inbrunst und aus tiefstem Verlangen nach einem festen Halt glaubte. Er flehte ihn an, daß ihm noch ein wenig
mehr Zeit vergönnt bliebe, Zeit, um Babylon zu erreichen und seine Aufgabe zu erfüllen.
Sie ritten über die unfruchtbaren Ebenen Kleinasiens, in den Nächten gehetzt von den heulenden, wilden Jägern. Simon konnte schließlich sogar über sie lachen, wenn auch sein Spott der Ausdruck von Verzweiflung war. Er hatte nur wenig Zeit, das wußte er.
In einer wolkenverhangenen Nacht verirrten sie sich. Simon hatte geplant, dem Lauf des Euphrats zu folgen, an dessen Ufern Babylon lag. Doch aus Panik vor den Verfolgern verlor er den Weg aus den Augen, und erst am Morgen fanden sie zum Fluß zurück.
Erleichtert setzten sie die Reise fort. Der Tag gehörte ihnen – unter der Sonne zeigten sich die Phantome nicht. Bald, so ahnte Simon in hoffnungsvoller Erwartung, würden sie in Babylon mit Abaris und den Magi zusammentreffen und mit ihnen gemeinsam gegen die Horden Ahrimans kämpfen.
Den ganzen Tag lang ritten sie unter sengender Sonne durch das ausgetrocknete Flußbett. Nach Simons Rechnung würden sie gegen Abend die Außenbezirke der Stadt erreichen, und das war höchste Zeit, denn die Pferde, bis auf die Knochen ausgezehrt, konnten sich nur noch stolpernd durch das aufgerissene Flußbett fortbewegen. Camilla schwankte bleich und halb ohnmächtig im Sattel.
Die fahle Sonne stieg zum Horizont hinab, als sie noch einmal die müden Pferde antrieben, denn sie vernahmen bereits das ferne Heulen der Mänaden, die wahnsinnigen Schreie der Höllenhunde.
»Bitte Ormuzd, daß wir die Stadt rechtzeitig erreichen«, sagte Simon matt.
»Noch eine solche Nacht, und ich verliere den Verstand«, sagte Camilla.
Die irren, heulenden Schreie der teuflischen Geister wurden
lauter. Simon sah über die Schulter zurück und erkannte in schemenhaften Umrissen die Verfolger – Gestalten, die mit der hereinbrechenden Dunkelheit an Deutlichkeit zunahmen. Das fliehende Paar folgte einer Flußbiegung und erblickte vor sich die Silhouette der Stadt.
Aber als sie näher herankamen, brach für Simon alle Hoffnung zusammen.
Dieser verlassene, bizarre Ruinenberg, dieser öde, elende Ort war nicht Babylon. Die Stadt, auf die sie zusteuerten, war tot.
Alexanders Armeen kamen zusammen. Die Soldaten ahnten nicht, daß es diesmal keine Länder zu erobern galt, sondern daß es um Größeres ging – um die Vernichtung der Kräfte des Lichts durch die der Finsternis.
323 vor Christus. Ein kranker Mann, besessen, von übernatürlichen Quellen gestärkt, beherrschte die Welt, unterdrückte ihre Bewohner und rekrutierte seine Soldaten.
Alexander von Mazedonien. Alexander der Große. Sohn des Zeus, Jupiter-Ammon. Er hatte die Welt unter einem Monarchen – unter sich – vereint. Und vereint würde sie untergehen …
In Babylon, der ältesten Stadt der antiken Welt, gab Alexander seine Befehle an die Feldherren. Babylon bedeckte eine Fläche von einhundertundvierzig Quadratmeilen, flankiert von den zwei großen Armen des Euphrat, von hohen Steinmauern mit bronzenen Toren eingeschlossen. Beherrscht wurde die Stadt vom Tempel Baals, der mit acht Geschossen, sich allmählich verjüngend, hoch emporragte und über eine Treppe zu besteigen war, die von
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