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Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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akzeptierten. Vielleicht war ihr Haß gegen die Römer stärker als ihre Prinzipien. Vielleicht hatten sie aber auch die Absichten des Täufers nicht richtig begriffen. Was der Grund ihrer Nachsicht auch immer gewesen sein mag, es bestand kein Zweifel, daß Johannes ihr Anführer war.
    Das Leben der Essener bestand aus drei rituellen Waschungen pro Tag, aus Gebeten und Arbeit. Die Arbeit war nicht schwer. Manchmal lenkte Glogauer einen Pflug, der von zwei andern Sektenmitgliedern gezogen wurde; manchmal hütete er die Ziegen, die in den Hügeln grasen durften. Es war ein friedliches, geordnetes Leben, und selbst die ungesunden Aspekte waren insoweit eine Frage der Routine, als Glogauer sie erst nach einer ganzen Weile bemerkte.
    Wenn er die Ziegen hütete, dann legte er sich auf einen Hügel und sah über die Wildnis hinweg, die keine Wüste war, sondern steiniges Brachland, auf dem genug Futter für die Ziegen wuchs. Kriechendes, verknorpeltes Buschwerk und an den Ufern des Flusses, der sicherlich ins Tote Meer floß, ein paar kleine Bäume. Das Gelände war uneben. Es glich einem erstarrten, stürmischen See, der gelb und braun gefärbt war. Jenseits des Toten Meeres lag Jerusalem. Offensichtlich war Christus noch nicht zu seinem letzten Besuch in die Stadt eingezogen. Vorher mußte noch Johannes der Täufer sterben. Trotz der Einfachheit und Bescheidenheit war die Lebensart der Essener nicht unbequem. Sie hatten ihm einen Lendenschurz aus Ziegenfell und einen Stab gegeben und behandelten ihn wie einen ihresgleichen, wenn man von der Tatsache absah, daß er Tag und Nacht bewacht wurde.
    Manchmal fragten sie ihn nach seinem Wagen aus – sie
    meinten die Zeitmaschine, die sie bald aus der Wüste zu holen gedachten, und er sagte ihnen, daß er damit von Ägypten nach Syrien und von dort hierher gereist sei. Sie nahmen das Wunder gelassen hin. Wie er vermutet hatte, waren sie an Wunder gewöhnt.
    Die Essener hatten schon seltsamere Dinge gesehen als seine Zeitmaschine. Sie hatten Menschen über das Wasser gehen und Engel vom Himmel herabsteigen und wieder hinauffliegen sehen. Sie hatten die Stimme Gottes und seiner Erzengel gehört und die des Teufels. Sie schrieben all diese Ereignisse auf Pergamentrollen.
    Sie lebten in der ständigen Gegenwart Gottes und sprachen mit Gott, und Gott antwortete ihnen, wenn sie ihr Fleisch genug kasteit hatten, ihre Körper genug ausgehungert und ihre Zungen genug gebetet hatten unter der gleißenden Sonne von Judäa.
    Karl Glogauer ließ sich die Haare lang wachsen und einen Bart stehen. Er kasteite sein Fleisch, hungerte seinen Körper aus und sang seine Gebete unter der Sonne wie die anderen. Aber Gott hörte er nie und bildete sich auch nur einmal ein, einen Erzengel mit Feuerschwingen gesehen zu haben. Trotz seiner Bereitwilligkeit, die Halluzinationen der Essener zu erleben, blieben sie ihm verwehrt, aber er stellte zu seinem größten Erstaunen fest, daß er sich trotz der selbst auferlegten Mühen in der Gesellschaft dieser Männer und Frauen, die zweifellos irre waren, wohl und unheimlich ausgeglichen fühlte. Da sich aber ihr Irrsinn nicht so sehr von seinem unterschied, hörte er auch bald auf, sich darüber zu wundern. Johannes der Täufer kam eines Abends über die Hügel zurück, gefolgt von ungefähr zwanzig seiner treuesten Jünger. Glogauer sah ihn, als er gerade die Ziegen für die Nacht in eine Höhle trieb. Er wartete, bis Johannes näher gekommen war. Das Gesicht des Täufers war grimmig, hellte sich aber auf, als er Glogauer sah. Er lächelte und faßte ihn auf römische
    Weise zum Gruß am Oberarm.
    »Emanuel«, rief er, »du bist unser Freund – wie ich vermutet hatte. Du bist uns von Adonias geschickt, damit wir seinen Willen erfüllen. Du wirst mich morgen taufen, und alle werden sehen, daß der Herr mit uns ist.«
    Glogauer war müde. Er hatte kaum etwas gegessen und den ganzen Tag in der glühenden Hitze verbracht. Er gähnte. Zu einer Antwort wer er zu faul. Aber erleichtert war er doch. Johannes war offensichtlich in Jerusalem gewesen, hatte seine Erkundigungen eingezogen und war jetzt überzeugt davon, daß er, Glogauer, kein Spion der Römer war.
    Der Glaube des Täufers an seine Macht allerdings machte ihm Sorge. »Johannes«, begann er. »Ich bin kein Seher …«
    Das Gesicht des Täufers bewölkte sich kurz, dann lachte Johannes. »Schweig! Iß mit mir zu Abend. Ich habe wilden Honig und Heuschrecken mitgebracht.«
    Glogauer hatte noch nie davon

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