Der Eroberer
Noch einmal verkrampfte sich seine Miene, als er den Blick auf mich zu konzentrieren versuchte. »Ich kann Sie verstehen. Ich weiß Bescheid. Was ist mit mir geschehen? Ich erinnere mich an nichts …«
»Hören Sie zu«, sagte ich eindringlich. »Ich möchte, daß Sie mit mir einen meiner Freunde aufsuchen … eine Physiker namens King. Ihr Fall ist nichts für Psychologen oder Ärzte, da bin ich sicher. Wir sollten sofort zu ihm gehen. Sind Sie dazu bereit?« »Wird er mir helfen?«
»Wenn es jemand kann, dann King«, versprach ich vor
schnell.
»Na gut.«
Ich erzählte Mrs. Thornton flüchtig, daß ich ihren Neffen in meiner Praxis untersuchen müßte. Dann packte ich ihn in meinen Wagen und fuhr aus London hinaus zum Forschungsinstitut bei Greenwich, dem King als Direktor vorsteht. Wenig später saßen wir in Kings Büro. Ich hatte ihm alles erzählt, was ich wußte. Dann hörte er sich die Geschichte von Davenport an.
»Sie taten gut daran, zu mir zu kommen«, sagte er. »Ich bin Ihnen dankbar, Schmeling. Sie wissen ja, daß wir zur Zeit die verschiedenen Stufen physischer Wahrnehmung untersuchen. Dabei unterstützen uns auch mehrere Psychologen. Gemeinsam können wir vielleicht Mr. Davenport helfen …«, er sah mich grinsend an, »… und ein paar wertvolle Informationen aus den Experimenten gewinnen, die mit der Therapie einhergehen.« »Ich soll also als Versuchskaninchen dienen«, sagte Davenport bitter.
»Ja«, antwortete King. »Aber Sie müssen verstehen. Je mehr wir über Ihr Leiden in Erfahrung bringen, desto leichter wird es sein, Sie wieder an die Wirklichkeit anzupassen.«
Mit Mrs. Thornton wurde abgesprochen, daß Nicholas Davenport bis zu seiner Heilung im Forschungsinstitut wohnen sollte. Wir versprachen äußerste Geheimhaltung, was uns zum Glück auch gelang. Davenports Zustand war so außergewöhnlich, daß jede Anspielung in den neugierigen Ohren der Sensationspresse einen Ansturm von Reportern nach sich gezogen hätte. Und das wäre unserer Arbeit natürlich nicht gut bekommen.
Die Zeit verging, und dem Team von King gelang schließlich die Konstruktion einer phantastischen Maschine, die Davenports Illusionen aufzeichnen und ihn – zumindest halbwegs – in die Wirklichkeit zurückrufen konnte.
Die gesammelten Daten wurden geordnet und analysiert. Langsam näherten wir uns ersten Ergebnissen.
Davenport bewohnte in der Tat sein privates Universum, das kaum mit unserem gemeinsam geteilten Zeit-Raum-Gefüge in Zusammenhang stand. Wenn wir ihn völlig allein darin zurück ließen, beobachteten wir bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die seine Existenz in Zeit und Raum bestimmten. Seine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Erfahrungen entsprachen der normalen zeitlichen Abfolge – doch eins war auffällig: Seine in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen korrelierten manchmal mit unserer Zukunft; seine gegenwärtigen oder zukünftigen Erfahrungen lagen für uns oft in der Vergangenheit.
Bis zu diesem Zeitpunkt kannten wir nur den Fall von Nicholas Davenport. Es war also durchaus möglich, daß wir es mit einer Ausnahmeerscheinung zu tun hatten. Wir entschlossen uns zu einem Test. Ich meldete mich freiwillig als Kontrollperson. Die Experimente an der ersten Maschine führten zur Konzeption einer zweiten, die mich – wenn alles nach Plan lief – in den von uns mittlerweile sogenannten permanent hypnagogischen Zustand versetzen sollte.
Die neue Maschine war ein Meisterwerk, das die Wirkung bestimmter Drogen wie Meskalin, Lysergsäure oder Andrenolutin im menschlichen Metabolismus simulieren konnte, und zwar mittels elektronischer Kontrolle von Gehirn und Blutkreislauf.
Was auch passieren würde, ich durfte auf eine interessante persönliche Erfahrung gespannt sein.
Ich nahm in einem Sessel Platz, und die Maschine wurde auf meinen Körper fokussiert. Außerdem wurde ein wie schon zuvor erwähntes Aufzeichnungsgerät angeschlossen. Der Test begann.
In aller Deutlichkeit, deutlicher als die meisten Alltagserlebnisse, tauchten Illusionen auf, vollgepackt mit Geräuschen, Bildern, Gerüchen oder Tastempfindungen. Ich geriet in einen euphorischen Zustand und dann plötzlich in eine leichte Depression. Bald darauf begann sich dieses Chaos an Gefühlen und Eindrücken nach bestimmten Mustern zu formieren, bis ich mich schließlich wieder in einem geordneten Rahmen wähnte, kaum anders als der, in dem ich mich normalerweise bewege. Allerdings war mir alles, was sich rundherum abspielte,
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