Der Eroberer
ihr schon ins Wort fallen und ihr den Mund verbieten wollte, war plötzlich ganz Ohr. »Und warum habt Ihr mir nichts davon gemeldet?«
»Ihr habt die Wirkungen des Weins ausgeschlafen, Gebieter«, entgegnete Alice mit einem Anflug von Schadenfreude. Ihre Augen funkelten. »Ich befahl Guy, sie wegen Verrats ins Verlies zu werfen, doch er gehorchte nicht!«
Rolfe blickte zu Guy.
Guy trat von einem Fuß auf den anderen. »Lady Alice dachte, ihre Schwester habe Euch vergiftet, Mylord, und beschuldigte sie deshalb des Verrats. Ich stellte fest, dass Ihr zu viel getrunken hattet, und sperrte das Mädchen nicht ein. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, nehme ich Eure Strafe gern entgegen.«
»Du hast richtig gehandelt.« Rolfe hob die Hand und holte tief Luft. »Es ist sinnlos, Morcar zu suchen. Der Sachse ist längst über alle Berge.«
Guy nickte.
»Sucht Ceidre«, befahl er knapp. »Bindet sie im Stall fest und Lasst sie bewachen.«
»Ja, Mylord.«
Rolfe wandte sich ab und trat an den langen Hochtisch. Dort stand er lange reglos, ehe er den Arm hob. Seine Faust sauste mit aller Kraft hernieder und zersplitterte die Tischplatte mit einem ohrenbetäubenden Lärm.
Ceidre verlagerte das Gewicht und versuchte, eine bequemere Lage auf dem Lehmboden zu finden. Ihre Handgelenke waren hinter dem Rücken gefesselt und an einen Pfosten im Stall festgebunden. Zehn Schritte entfernt hockte ihr Wächter mit verschränkten Armen auf einem Ballen Heu und beobachtete die vorbeigehenden Leute.
Und es gingen viele vorbei.
Ceidre hatte aufgehört, das Gesicht beschämt abzuwenden, wenn die Dorfbewohner sie mit offenen Mäulern angafften. Einen halben Tag kauerte sie nun schon auf der Erde und hatte sich an die neugierigen Blicke gewöhnt.
Und keiner ließ es sich nehmen, die neue Sensation zu bestaunen, und immer wieder wurde das Wort Hochverrat gewispert.
Auch Alice war gekommen. Mit energischen, kurzen Schritten, hocherhobenen Hauptes und funkelnden Augen voller Genugtuung. Ceidre hatte die Schultern gestrafft und sich angespannt, bis die Fesseln ihr ins Fleisch schnitten. Sie fürchtete das Schlimmste. »Nun wirst du bezahlen, Hexe«, hatte Alice gefaucht. »Du wirst teuer dafür bezahlen!«
Ihr Hohn drohte Ceidres ohnehin zerrüttete Nerven zum Zerreißen zu bringen, doch Alice hatte es gottlob eilig, wieder zu gehen, und Ceidre blinzelte zitternd ihre Tränen zurück.
Ihre eigene Schwester hasste sie und freute sich hämisch über ihr Unglück. Ja, nun würde sie bezahlen. Und Ceidre wusste, welchen Preis sie zu entrichten hatte, denn der Normanne hatte sie gewarnt.
Heilige Maria, Mutter Gottes, was würde er mit ihr tun?
Ceidre hatte Angst.
Als sie Guy am Morgen sah, wusste sie, dass er kam, um sie zu holen. Es hätte keinen Sinn gehabt fortzulaufen – wohin auch? Sie hatte am Dorfbrunnen auf ihn gewartet und ihm trotzig entgegengeblickt in der Annahme, Guy würde sie zum Normannen bringen. Hinter ihrer Fassade aus Kaltblütigkeit und Hochmut bebte sie innerlich vor Angst; ihr Herz flatterte wie ein im Käfig gefangener Vogel. Sie durfte dem Normannen unter keinen Umständen ihre Angst zeigen. Guy aber brachte sie nicht zu ihm, sondern ließ sie im Stall festbinden. Dort hockte sie den ganzen Vormittag über und fast den ganzen Nachmittag. Ohne einen Bissen Brot und ohne Decke kauerte sie auf dem nackten Lehmboden. Vermutlich wäre ihr ohnehin jeder Bissen, den sie hinuntergewürgt hätte, wieder hochgekommen. Vor einer Stunde hatte man ihr einen Becher Wasser gebracht, um ihre ausgedörrte Kehle zu befeuchten, und man hatte sie endlich ihre Notdurft verrichten lassen.
Wann würde er kommen?
Die Angst legte sich wieder wie ein Eisenring um ihre Brust. In ihrer Kehle steckte ein Kloß, den sie nicht hinunterschlucken konnte. je mehr Zeit verstrich, desto größer wurde der Kloß, desto enger legte der Eisenring sich um ihre Brust. Seine Zorn würde maßlos sein. Wenn er nur käme und die grässliche Begegnung endlich hinter ihr läge! Das Warten war die schlimmste Folter. Auf ihrer Stirn perlte der Schweiß, tropfte zwischen ihren Brüsten hinunter, klebte in ihren Achselhöhlen. Er ließ sie absichtlich schmachten, um ihre Angst ins Unerträgliche zu steigern. Und er hatte Erfolg damit.
Die schlimmsten Ängste befielen sie in die dunkle Nacht.
Würde er sie hängen lassen?
Sie flehte Gott um Gnade an.
Den Wächter würde Ceidre nicht um Auskunft bitten, obwohl sie den verzweifelten Wunsch hatte, ihn zu fragen,
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