Der erste Versuch
„Die einzige vielleicht
verwertbare Spur führt über die Zweitlebensvereinigung in
irgendeine geheime Langzeitschlafstätte“, spekulierte Alina.
Mittlerweile, je länger sie grübelte, umso überzeugter war sie,
dass Milan seinen ursprünglichen Plan, sich für fünfzig Jahre
aus der Gesellschaft zu verabschieden, wahr gemacht hatte.
Aber wenn – was Alina annehmen musste – die Vereinigung
nicht mehr existierte, war es ein fast aussichtsloses
Unterfangen, in der Kürze der ihr noch verbleibenden Zeit
etwas herausfinden zu wollen. Denn ob sie sich während der
Arbeiten in Berlin Recherchen und Reisen erlauben konnte,
blieb zumindest sehr fraglich.
In Alinas Gedanken schob sich das Gespräch mit Connan, in
dem er von seinem Kontakt mit Leuten berichtet hatte, die eine
automatisierte Station für Dauerschläfer in einem Bergwerk…
Der Einfall faszinierte Alina. Vielleicht ließen sich die noch
verbleibenden freien Tage doch dazu nutzen, das Dunkel um
die Nowatscheks wenigstens ein bisschen aufzuhellen.
Aber soviel sie auch grübelte, der Name das Ortes, in dessen
Nähe sich Connans Tätigkeit abgespielt hatte, fiel ihr nicht ein.
Erst nach einigen Stunden am Netz konnte Alina die
ehemaligen Salzbergbaugebiete lokalisieren, und dann stieß sie
auch auf den Namen, den Connan genannt hatte: Bacherode!
Auf einmal hatte Alina es eilig.
Eine offizielle Fluglinie zu diesem Teil Deutschlands gab es
nicht. Sie mietete tags darauf einen verhältnismäßig teuren
Taxilifter und ließ sich am Rande des verschlafenen, in einer
Hügellandschaft gelegenen Städtchens auf einer Wiese
absetzen, auf der sie tatsächlich mehrere Kühe misstrauisch
musterten und dann mit einigem Hochmut vor dem Luftschiff
gemach flüchteten.
Während des beim Piloten erbetenen langsamen Niedergangs
des Schiffes machte Alina östlich der Siedlung neben einem
fast kahlen, rötlichen, unnatürlich aus der Ebene ragenden
Berg einen stattlichen Komplex alter Ziegelgebäude aus, aus
denen zwei turmähnliche Metallgerüste aufragten, die Alina –
nach ihren neuesten Kenntnissen aus dem Netz – unschwer als
nostalgische Fördertürme einordnete. Ein Bergwerk
– das Bergwerk!
Und in dem einen der Gittertürme drehten sich die
Seilscheiben, was wohl bedeutete, dass dieses Bergwerk noch
für irgendeinen Zweck funktionierte. Düngesalz aber wurde
schon seit Jahrhunderten nicht mehr bergmännisch gewonnen.
Alina gelangte von der Wiese auf eine Straße, die direkt auf
das Werk zu, an diesem vorbei, in die Stadt führte.
Am offenen Tor der Anlage änderte Alina ihren
ursprünglichen Plan, zunächst ein Quartier zu suchen. Sie
passierte ein unbesetztes Pförtnerhaus, befand sich auf einem
verhältnismäßig engen, menschenleeren Hof, der, von
renovierungsbedürftigen, jedoch nicht verwahrlosten
Gebäuden umgeben, von ehemals offenbar begüterten
Zechenherren Zeugnis ablegte. Aber nur Augenblicke hielt
sich Alina mit derartigen Überlegungen auf. Sie steuerte auf
das Gebäude zu, aus dessen Dach der Turm mit den sich
drehenden Seilrädern ragte. Dass dieses Bergwerk
ferngesteuert arbeitete, glaubte Alina nicht. Also musste sich
dort, wo sich etwas bewegte, ein Mensch befinden.
Sie trat in eine dämmrige Halle. Ein alter Mann stand an
einem dem Tor gegenüberliegenden Gatter, das sich gerade
öffnete und drei Leute in Arbeitskleidung und mit
Schutzhelmen auf den Köpfen entließ. Sie grüßten den, der sie
empfangen hatte, mit „Glück aufl“, musterten die
herangetretene Frau ein wenig erstaunt und entfernten sich.
„Hallo!“, grüßte Alina den Zurückbleibenden, der die
Schutzgatter des Förderkorbes schloss.
„Glück auf!“, antwortete der Mann, ohne sich der Besucherin
zuzuwenden.
„Das ist das Bergwerk Bacherode?“, sagte Alina mehr als
Feststellung denn Frage.
Der Mann drehte sich um, musterte die Frau und brummte:
„Unbefugten ist der Zutritt hier verboten. Es ist Bacherode.
Und?“ Er wandte sich dem Ausgang zu, an einem Kasten
betätigte er einige Schalter, und in ein klobiges Telefon hinein
sagte er: „Fertig, Erwin. Ich mach Feierabend.“ Und er ging
der Tür zu, ohne sich weiter um Alina zu kümmern.
„Ich habe eine Frage“, rief sie.
Der Mann hielt ihr die Tür auf. Im hellen Tageslicht blickte
Alina in ein uraltes, von unzähligen Falten durchfurchtes
Gesicht.
Er ließ Alina vorbei, verschloss sorgfältig die Tür, wandte
sich der Frau dann voll zu und fragte: „Na, was hast du denn
auf dem Herzen, Mädchen. Schieß
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