Der Eunuch
Viele hatten das als das Benehmen eines Prinzipienreiters, andere für eine Ausrede, alle aber als Verirrung angesehen. Mit seiner Thronbesteigung freilich hörten seine Grundsätze auf, seine persönliche Angelegenheit zu sein. Was half es ihm, daß die Schuhsohlen des Padischah mit silbernen Nägeln beschlagen waren, damit beim Klang seiner Tritte alles Weibliche rechtzeitig verschwinden konnte? Es gab genug andere Gelegenheiten, bei denen der Padischah gar keine Möglichkeit hatte, den Damen auszuweichen. Schon hatten sich Parteien gebildet, die sich nicht scheuten, ihre Kandidatinnen vor dem Gebieter ins rechte Licht zu rücken. Fast sah es in Konstantinopel aus wie in Versailles oder in Dresden am kursächsisch-polnischen Hofe. Aber Mahmud war weder ein Louis noch ein starker August.
Daß er seine Junggesellenmarotte aufgeben müsse, war allen klar; aber diese Osmanenprinzen waren oft unberechenbar. Der eine hatte es, wie Soliman der Gesetzgeber, nur mit einer Frau gehalten, was sich mit der Würde des Thrones schlechterdings nicht vertrug - der andere gar mit keiner, was noch schlimmer gewesen war. Kein anderer als der Eroberer war es gewesen, dem der Vater erst den gemessenen Befehl hatte zukommen lassen müssen, zu seiner Kusine von Kastemuni ins Bett zu steigen, ehe in dieser Hinsicht seinerseits etwas geschehen war. Aber Mahmud war bereits Padischah - wer konnte ihm befehlen? Höchstens die Frau Mama.
Doch die hätte ihm einen Weiberhaß nicht ausreden brauchen, er hatte keinen. Nur waren ihm immer die Mädchen in Massen entgegengetreten, jede schön und somit jede der anderen im Werte gleich, wenn man von der Schönheit als von einem meßbaren Wert sprechen wollte. Mahmud war durchaus nicht dazu geneigt. Nichts als Gleichgültigkeit empfand er für die Massenschönheit, und seine Enthaltsamkeit hatte ihn während seiner ganzen Prinzenzeit keine Überwindung gekostet. Genug junge Eunuchen und Pagen waren zu seiner Verfügung gewesen.
Nun also stand er vor Julienne, und auf eine Frage hätte er ohne Zaudern geantwortet, daß sie im Harem seiner erlauchten Mutter nicht zu dulden sei. Niemand fragte ihn jedoch. Er brauchte demnach - falls er hätte ehrlich sein wollen - nicht hinzuzufügen, daß er indem Herrschaftsbereich des mütterlichen Harems selbst ein Gast sei, und dies alles hier ihn, Allah sei Dank, nichts angehe. Er konnte dennoch seine Blicke mißbilligend auf den fortgeschleuderten Schuhen ruhen lassen. Ihm erschien es, als sei die Dame von Allah berührt und ihres irdischen Verstandes beraubt, verdiene also die Nachsicht, die solchen Geschöpfen gebühre.
Behutsam legte er die beiden Bücher auf den Teppich, hob die Schuhe auf und streifte sie dem barfüßigen Mädchen zwecks Abwendung einer Unziemlichkeit wieder über, wobei er nicht umhin konnte, den gepflegten Füßen einige Aufmerksamkeit zu widmen. Es seien richtige Füße, dachte er, auf denen sich vermutlich ganz vernünftig gehen lasse und die jedem Pagen zur Zierde gereichen würden.
Diesen Betrachtungen wurde er jäh entrissen.
„Was machen Sie da?“ fragte das von Allah berührte Mädchen. „Wenn man Sie hier auf der Frauenseite findet, ergeht es Ihnen schlecht. Haben Sie nie etwas von Stockschlägen auf die nachten Sohlen gehört?“
Das sei etwas für Peiks, für Pagen, die den Hofdienst erlernen und sich vergangen haben, meinte er und er sei keiner.
„Aha, Sie sind also der Drucker?“
„Woran sehen Sie das?“
„Dumme Frage. An den Büchern natürlich.“
„Natürlich an den Büchern“, stimmte er zu und fand sich zu seinem eigenen Erstaunen willig in die ihm damit zugewiesene Rolle. „Ich hatte die Bücher fast vergessen. Ihre Erhabenheit haben sie bestellt.“
„Sie kann jeden Augenblick hier sein. Verschwinden Sie schleunigst. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie ohne Anmeldung hereinkamen.“
„Ihre kaiserliche Hoheit will mir wohl. Ich glaube nicht, daß sie midi mit Stockschlägen traktieren wird.“
Beinahe hätte er gesagt, daß die Zeit, in der das geschehen sei, schon etwas zurückliege. Aber er bezwang sich. Das Abenteuer mit diesem Mädchen, mochte es nun verrückt sein oder nicht, war unerwartet und begann ihn zu fesseln. Eigentlich sei das Mädchen wohl auch nicht verrückt, denn was es sage, sei viel einfacher und vernünftiger als alles, was er Haremsdamen je habe sagen hören.
„Nun, Sie müssen es ja wissen“, meinte Julienne, „und daß Hoheit Ihre Arbeiten begünstigen möchte,
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